Schließung von Wettannahmestellen in Sachsen-Anhalt vorläufig außer Vollzug

Die in der aktuellen Corona-Verordnung des Landes Sachsen-Anhalt bestimmte Schließung von privaten Wettannahmestellen, die an sich noch bis Ende November gilt, ist in einem Normenkontrollverfahren vorläufig außer Vollzug gesetzt worden. Das Oberverwaltungsgericht des Landes in Magdeburg störte sich vor allem daran, dass staatliche Annahmestellen weiterhin geöffnet bleiben durften.

Anbieter geht gegen Schließung vor

Die Antragstellerin betreibt in Sachsen-Anhalt mehrere Wettannahmestellen, in denen sie Sportwetten an ein in Malta ansässiges Wettunternehmen vermittelt. Sie wendet gegen die Schließung von Wettannahmestellen in der Zeit vom 02. bis zum 30.11.2020 unter anderem ein, es sei mit höherrangigem Recht nicht vereinbar, dass die Landesregierung als Verordnungsgeber den Betrieb von Freizeit-, Spiel- und Vergnügungseinrichtungen vollständig untersage, ohne danach zu differenzieren, wie hoch das Infektionsrisiko in den einzelnen Betrieben überhaupt sei.

OVG hält unverhältnismäßigen Eingriff in Berufsausübungsfreiheit für wahrscheinlich

Der Antrag hatte nach der im einstweiligen Anordnungsverfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO gebotenen summarischen Prüfung Erfolg. Nach Auffassung des OVG spricht derzeit Überwiegendes dafür, dass das in § 4a Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 der 8. SARS-CoV-2-EindV geregelte Verbot der Öffnung von Wettannahmestellen nicht mit höherrangigem Recht vereinbar ist und wegen der damit einhergehenden Verletzung der Antragstellerin in ihren Rechten für unwirksam zu erklären sein wird. Der mit dem Öffnungsverbot verbundene Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit der Betreiber von Wettannahmestellen genüge voraussichtlich nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Schlüssiges Gesamtkonzept gegen Pandemie erforderlich

Zwar komme dem Verordnungsgeber in der gegenwärtigen durch zahlreiche Unsicherheiten geprägten epidemischen Lage bei der Beurteilung der Frage, welche Maßnahmen er für geeignet, erforderlich und angemessen halten darf, um das legitime Ziel der Vermeidung von neuen Infektionsketten und damit verbunden der Eindämmung einer weiteren Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 zum Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung zu erreichen, ein weiter Einschätzungs- und Prognosespielraum zu. Es sei daher voraussichtlich rechtlich nicht zu beanstanden, wenn er sich bei der Entscheidung, welche Lebensbereiche zum Zweck des Gesundheitsschutzes vordringlich geschlossen werden müssen, von der Priorität der Aufrechterhaltung des Wirtschaftslebens und des Bildungsbereichs leiten lasse und auch in diesen Bereichen bestehende Infektionsgefahren in einem gewissen Umfang in Kauf nehme. Allerdings müsse sich die konkret im Streit stehende Schutzmaßnahme schlüssig in das Gesamtkonzept einfügen, mit dem der Verordnungsgeber dem Infektionsgeschehen begegne. Dies sei gegenwärtig in Bezug auf Wettannahmestellen nicht der Fall.

Aufrechterhalten der Öffnung staatlicher Annahmestellen widersprüchlich

Die Schließung von Wettannahmestellen sei zwar Teil eines Maßnahmenbündels. Die staatlichen Lotto-Annahmestellen seien aber nach wie vor geöffnet. Aufgrund der dort – neben einem Waren- und/oder Dienstleistungsangebot – eröffneten Möglichkeiten zur Abgabe von Wetten werde Kunden zumindest ein zusätzlicher Anreiz gegeben, diese Annahmestellen eigens aufzusuchen oder dort vor oder nach dem Konsum von Waren oder Dienstleistungen noch für die Dauer des Wettvorgangs zu verweilen. Gerade die durch derartige Anreize geschaffenen vermehrten sozialen Kontakte wolle der Verordnungsgeber mit der Schließung von Freizeit- und Vergnügungseinrichtungen wie Wettannahmestellen aber an sich reduzieren. Es erscheine daher nicht widerspruchsfrei, wenn der Verordnungsgeber einerseits die vollumfängliche Schließung privater Wettannahmestellen bestimme, es andererseits aber trotz der damit verbundenen zusätzlichen sozialen Kontakte hinnehme, dass Kunden die Abgabe von Wetten in Annahmestellen von staatlichen Unternehmen ermöglicht werde.

Ziel der Begrenzung von Infektionen nicht konsequent verfolgt

Das erklärte Ziel, das Infektionsgeschehen durch eine Verminderung der persönlichen Kontakte im Freizeit- und Vergnügungsbereich effektiv zu begrenzen, werde bei dieser gegenwärtigen Sachlage in Bezug auf die von Wettannahmestellen ausgehenden Kundenanreize gerade nicht konsequent verfolgt. Es sei vor diesem Hintergrund nach summarischer Betrachtung unverhältnismäßig, privaten Wettannahmestellen nicht zumindest – wie in einigen anderen Bundesländern – die Möglichkeit zu geben, ihren Betrieb dergestalt aufrechtzuerhalten, dass eine reine Abgabe von Wetten ohne darüber hinausgehendes Verweilen möglich ist.

OVG Magdeburg, Beschluss vom 27.11.2020 - 3 R 226/20

Redaktion beck-aktuell, 30. November 2020.