OLG Stuttgart: Bosch muss keine Unterlagen zu Diesel-Abgasskandal vorlegen

Die Robert Bosch GmbH hat sich zu Recht geweigert, in Verfahren des Landgerichts Stuttgarts (elektronische) Dokumente zum Diesel-Abgasskandal vorzulegen. Dies hat das Oberlandesgericht Stuttgart mit zwei Beschlüssen vom 01.03.2019 entschieden. Der Autozulieferer berief sich damit erfolgreich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 1 ZPO (Az.: 1 W 41/18 und 1 W 42/18).

Unternehmen befürchtet vermögensrechtliche Schäden

In den Ausgangsverfahren vor dem LG Stuttgart verlangen die Kläger, unter anderem zwei internationale Investmentfonds mit Sitz in New York, von der beklagten Firma Porsche Automobil Holding SE Schadenersatz wegen unterlassener und unzutreffender Kapitalmarktinformationen im Zusammenhang mit der Dieselabgasproblematik. In diesen Verfahren ordnete das LG jeweils an, dass die Robert Bosch GmbH als Dritte im Sinne der §§ 142 Abs. 1 Satz 1, 144 Abs. 1 Satz 2 ZPO dem Gericht näher bezeichnete Unterlagen vorzulegen habe. Diese berief sich dagegen auf das Recht, die Urkundenvorlage nach § 384 ZPO zu verweigern, weil sie sonst hierdurch vermögensrechtliche Schäden aufgrund einer zivilrechtlichen Inanspruchnahme zu befürchten habe, sich der Gefahr einer Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit ausgesetzt sehe und außerdem geheimhaltungsbedürftige Gewerbegeheimnisse offenbaren müsse. Nach mündlicher Verhandlung über diese Fragen stellte das LG Stuttgart in sogenannten Zwischenurteilen vom 13.07.2018 fest, dass die Robert Bosch GmbH die Vorlage der Dokumente zu Unrecht verweigert habe, da ihr keine Verweigerungsrechte zustünden.

Recht zu Zeugnisverweigerung steht Vorlage entgegen

Auf die sofortige Beschwerde der Robert Bosch GmbH hat das OLG Stuttgart jetzt entschieden, dass sie sich gegenüber der Anordnung des LG zur Vorlage der Unterlagen zu Recht auf ein Verweigerungsrecht nach § 384 Nr. 1 ZPO beruft. Zwar könne ein Gericht anordnen, dass ein am Ausgangsprozess nicht beteiligter Dritter die in seinem Besitz befindlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, auf die sich eine Partei bezogen hat, vorlegt. Hierdurch sollen die Aufklärungsmöglichkeiten der (Zivil-)Gerichte gestärkt werden. Allerdings seien Dritte zur Vorlegung nicht verpflichtet, soweit ihnen diese nicht zumutbar sei oder sie zur Zeugnisverweigerung berechtigt seien.

Auch juristischen Personen kann Zeugnisverweigerungsrecht zustehen

Nach § 384 Nr. 1 ZPO könne das Zeugnis verweigert werden über Fragen, deren Beantwortung dem Zeugen oder einer nahestehenden Person einen unmittelbaren vermögensrechtlichen Schaden verursachen würde. Dabei sei bei juristischen Personen, die auf Herausgabe von Unterlagen in Anspruch genommen werden, auch auf die Vermögensverhältnisse der juristischen Person abzustellen. Wenn dieser ein eigener Schaden drohe, sei ihr auch ein Recht zur Verweigerung der verlangten Vorlage zuzubilligen.

Vorlage würde bei Bosch unmittelbaren vermögensrechtlichen Schaden verursachen

Folglich stehe der Herausgabeverpflichtung das Zeugnisverweigerungsrecht der Robert Bosch GmbH entgegen. Sie könne die Vorlage der Unterlagen verweigern, weil diese ihr einen unmittelbaren vermögensrechtlichen Schaden verursachen würde. Ein solcher unmittelbarer Schaden drohe, wenn die Vorlage der Unterlagen die tatsächlichen Voraussetzungen für einen Anspruch gegen den Zeugen schaffen oder die Durchsetzung einer bereits bestehenden Schuldverpflichtung erleichtern könnte.

Kein Zwang zu selbstschädigenden Handlungen

Zweck der gesetzlichen Regelung sei es, den Zeugen vor nachteiligen Folgen seiner eigenen wahrheitsgemäßen Aussage zu schützen. Niemand solle aus seiner Zeugnispflicht zu selbstschädigenden Handlungen gezwungen werden. Der Zeuge müsse deshalb seine vermögensrechtlichen Interessen denen der beweisführenden Partei nicht unterordnen.

Gefahr der Inanspruchnahme in Zusammenhang mit Abgasskandal besteht

Entgegen der Auffassung des LG sei nicht anzunehmen, dass durch die Vorlage der in Rede stehenden Unterlagen unter keinen denkbaren Umständen die Gefahr für die Robert Bosch GmbH bestehe, wegen Leistungen im Zusammenhang mit Motorsteuerungssoftware für Dieselfahrzeuge der Volkswagen AG deliktisch auf Schadenersatz in Anspruch genommen zu werden. Im Gegenteil sei davon auszugehen, dass eine solche Gefahr bestehe.

Strafbarkeit wegen Beihilfe nicht ausgeschlossen

Das LG gehe zu Unrecht davon aus, dass nach den vom Bundesgerichtshof zur Beihilfe in den Fällen berufstypischer neutraler Handlungen entwickelten Grundsätzen eine strafbare Beihilfe der Antragsgegnerin ausgeschlossen sei. Es betrachte die Frage einer möglichen deliktischen Haftung der Volkswagen AG und damit auch einer Haftung der Robert Bosch GmbH wegen einer Beteiligung daran unter einem zu engen Blickwinkel. Mehrere LG, auch verschiedene Kammern des LG Stuttgart, hätten bereits Schadenersatzansprüche von Kraftfahrzeugkäufern gegen die Volkswagen AG wegen des Inverkehrbringens von Dieselfahrzeugen mit manipulierter Abgassoftware beziehungsweise im Zusammenhang mit dem Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung bejaht, unter anderem gemäß § 826 BGB.

Haftung als Teilnehmerin einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung möglich

Das LG habe die Möglichkeit einer Haftung der Antragsgegnerin gemäß § 830 BGB als Teilnehmerin einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung von Kraftfahrzeugkäufern durch Volkswagen nicht hinreichend in seiner Würdigung berücksichtigt. Zumindest in einem Teil von gegen die Robert Bosch GmbH selbst geführten Verfahren werde unter anderem vorgetragen, diese habe Volkswagen die Steuerungssoftware als "Programmiergerüst" zu Verfügung gestellt und Volkswagen habe auf dieser Basis entsprechende erweiternde oder modifizierende Softwaremodule entwickelt. Die Robert Bosch GmbH habe aber auch "letzte Hand angelegt" und sei sich vollständig über die Funktionsweise der Steuerungssoftware – einschließlich der verbotenen Abschalteinrichtungen – im Klaren gewesen. Sollte dieser Vortrag erweislich sein – was der Senat nicht geprüft hat –, läge es aber mehr als nahe, die Grenze zur strafbaren Beihilfe als überschritten anzusehen. Ob der Beweis tatsächlich zu führen sei, könne anhand der Akten des vorliegenden Verfahrens nicht beurteilt werden und bedurfte im hiesigen Verfahren nach Auffassung des Gerichts auch keiner Klärung, da es jedenfalls durchaus in Betracht komme. Das Zeugnisverweigerungsrecht bestehe aber auch, soweit man berechtigterweise an dem Bestehen des Haftungsgrundes oder des Rechtsgrundes zweifeln könne.

Rechtsbeschwerde nicht zugelassen

Ob der Robert Bosch GmbH darüber hinaus noch Zeugnisverweigerungsrechte aus anderen Vorschriften zustehen, habe das OLG ebenso offen lassen können wie die Frage der Zumutbarkeit der Vorlegung. Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof nicht zugelassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung habe noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordere.

OLG Stuttgart, Beschluss vom 01.03.2019 - 1 W 41/18

Redaktion beck-aktuell, 6. März 2019.