OLG Rostock: Keine Beweiserleichterungen in Teilkaskoversicherung bei behauptetem Unfall durch Wildwechsel

VVG §§ 82 I und II, 83 I, 90

Bei einer Klage auf Rettungskostenersatz wegen eines Wildwechsels gegen die Teilkaskoversicherung bedarf es nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Rostock der vollen richterlichen Überzeugung im Sinne des § 286 ZPO, dass der Unfall durch einen Wildwechsel verursacht worden ist. Beweiserleichterungen kämen dem Kläger nicht zugute. Insbesondere seien die von der Rechtsprechung entwickelten Regeln der Überzeugungsbildung in den Fällen der Behauptung des Versicherungsfalls «Diebstahl» nicht auf den Versicherungsfall «vermiedener Tierschaden» übertragbar.

OLG Rostock, Urteil vom 27.05.2016 - 5 U 45/14 (LG Schwerin), BeckRS 2016, 19677

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 24/2016 vom 01.12.2016

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Sachverhalt

Die Klägerin, Arbeitgeberin der Versicherungsnehmerin, begehrt teilweise aus abgetretenem Recht Zahlung wegen eines Unfalles der Versicherungsnehmerin mit einem bei der Beklagten teilkaskoversicherten Pkw.

Am 03.11.2012 gegen 22:00 Uhr kam die Versicherungsnehmerin mit ihrem Pkw nach links von der Fahrbahn ab und prallte mit der linken Seite gegen einen Baum. Am 12.11.2012 meldete sie den Unfall der Polizei. Der Beklagten zeigte sie den Schaden mittels eines Formulars für die Schadensmeldung vom 16.11.2012 an.

Die Klägerin behauptet, die Versicherungsnehmerin sei von der Fahrbahn abgekommen, um eine Kollision mit einem Reh zu vermeiden. Dies stelle eine sogenannte Rettungshandlung dar, die geeignet gewesen sei, einen bevorstehenden Unfall zu vermeiden.

Das Landgericht hatte in der Vorinstanz die Klage auf Erstattung der Kosten aus einer Notreparatur in Höhe von 4.907,43 EUR, auf Ersatz der Kosten für einen Mietwagen in Höhe von 725,01 EUR sowie auf Erstattung der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten der Versicherungsnehmerin in Höhe von 661,16 EUR abgewiesen.

Rechtliche Wertung

Auch die Berufung der Klägerin blieb ohne Erfolg. Der Senat konnte – wie schon das Landgericht – auch nach einer erneuten Beweisaufnahme nicht feststellen, dass die Voraussetzungen für einen Anspruch aus §§ 83 Abs. 1, 82 Abs. 1 und 2, 90 VVG vorlagen. Danach sind gebotene Aufwendungen zu erstatten, die zur Abwendung eines unmittelbar bevorstehenden Eintritts des Versicherungsfalls getätigt werden.

Zwar sei die Klägerin aktivlegitimiert. Jedoch habe sie den ihr obliegenden Beweis für ihre Behauptung, das Fahrzeug sei beschädigt worden, weil die Versicherungsnehmerin einer Kollision mit einem Reh habe ausweichen wollen, nicht zu der nach § 286 ZPO erforderlichen Überzeugung des Senats erbracht. Beweiserleichterungen würden der Klägerin nicht zugute kommen. Insbesondere seien die von der Rechtsprechung entwickelten Regeln der Überzeugungsbildung in den Fällen der Behauptung des Versicherungsfalles «Diebstahl» auf den Versicherungsfall «vermiedener Tierschaden» nicht übertragbar.

Zwar haben sowohl die Versicherungsnehmerin als auch ihre Mutter als weitere Zeugin bestätigt, dass ein Reh auf der Straße gewesen sei. Die Versicherungsnehmerin habe etwa bekundet, es sei von rechts nach links über die Straße gelaufen. Sie habe vorher ausweichen wollen und sei infolgedessen mit dem Fahrzeug gegen einen Baum am linken Straßenrand gerutscht.

Beim Senat verblieben jedoch Zweifel an der Richtigkeit der Unfalldarstellung. Weder die Versicherungsnehmerin noch ihre Mutter konnten zu Details rund um das Unfallgeschehen (wie Geschwindigkeit des Fahrzeugs, Entfernung des Rehs und Geschehen nach dem Unfall) konkrete Angaben machen. Zudem konnte die Versicherungsnehmerin nicht plausibel darlegen, weshalb sie den Unfall erst am 12.11.2012 bei der Polizei und noch später bei der Beklagten angezeigt hat.

Praxishinweis

Das OLG Rostock schließt sich ausdrücklich der Auffassung des OLG Saarbrücken (Urteil vom 26.01.2011 – 5 U 356/10, r+s 2011, 380) an, wonach es im Hinblick auf die Abwendung eines behaupteten Versicherungsfalls «Tierschaden» bei der allgemeinen Beweislastverteilung bleibt. Damit liegt es zugleich auf der Linie weiterer Oberlandesgerichte (OLG Jena, Urteil vom 12.05.1999 - 4 U 1639/98, NVersZ 2000, 33; OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.05.2000 - 4 U 99/99, NVersZ 2000, 579; OLG Hamm, Urteil vom 17.01.1990 - 20 U 91/89, r+s 1990, 226).

Auch nach der in der Literatur überwiegend vertretenen Auffassung ist die Annahme von Beweiserleichterungen wie beim Versicherungsfall «Diebstahl» nicht gerechtfertigt (Knappmann in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, AKB 2008 § A 2.2.4 Rn. 43; Halbach in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 3. Aufl. 2015, AKB 2008 Rn. 35).

Dem ist zuzustimmen. Denn anders als dort ist es für Wildschäden nicht typisch, dass keine Beweismittel zur Verfügung stehen (Knappmann in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, AKB 2008 § A 2.2.4 Rn. 43). Allein die Fälle, in denen die Beweislage schwierig ist, rechtfertigen es nicht, wie bei den Entwendungsfällen von einer von den Parteien des Versicherungsvertrags nach ihrer Interessenlage gewollten Verschiebung des Eintrittsrisikos auszugehen (OLG Jena, a.a.O.).

Redaktion beck-aktuell, 14. Dezember 2016.