OLG Naumburg zum Abgasskandal: VW muss Käufer eines gebrauchten Diesels entschädigen

Die Volkswagen AG muss dem Käufer eines vom Abgasskandal betroffen gebrauchten VW Tiguan TDI Schadensersatz zahlen. Der Autohersteller habe durch das Inverkehrbringen einer manipulierten Abgassteuerung eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung begangen, die auch bis zum Gebrauchtwagenkäufer durchschlage, entschied das Oberlandesgericht Naumburg mit nicht rechtskräftigem Urteil vom 27.09.2019 (Az.: 7 U 24/19).

Käufer verlangte Schadensersatz statt Software-Nachbesserung

Der Kläger erwarb im Frühjahr 2014 von einem Autohaus einen VW Tiguan 2.0 TDI R-Line als Gebrauchtfahrzeug. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 EU 5 ausgestattet, den die beklagte Volkswagen AG entwickelt hat. In dem Motor ist eine manipulierte Software verbaut, die die Einhaltung der vorgeschriebenen Abgaswerte vortäuscht. Nachdem das Kraftfahrtbundesamt die Beklagte zur Bereitstellung eines kostenlosen Software-Updates verpflichtet hat, um die betroffenen Fahrzeuge in einen vorschriftsgemäßen Zustand zu versetzen, startete diese eine Rückrufaktion zum Einbau. Der Kläger ließ das Software-Update aber nicht ausführen und nahm die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch.

LG verneinte Schadensersatzanspruch

Das Landgericht wies die Klage ab. Dem Kläger stehe gegenüber der Beklagten als Herstellerin des Fahrzeuges kein Schadensersatzanspruch zu. Insbesondere hafte die Beklagte nicht unter dem Gesichtspunkt der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, weil das Unterlassen einer für die Kaufentscheidung erheblichen Information in einem Prospekt oder in Werbeankündigungen für sich genommen noch nicht verwerflich sei. Der Kläger legte Berufung ein.

OLG: Verkauf des Fahrzeugs mit manipulierter Abschalteinrichtung war sittenwidrig

Das Oberlandesgericht hat dem Kläger nunmehr Recht gegeben. Der Kläger habe Anspruch auf Schadensersatz in Form der Erstattung des Kaufpreises unter Abzug einer Nutzungsentschädigung gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs an die Volkswagen AG. Es liege sehr wohl eine sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB vor. Die schädigende Verletzungshandlung bestehe darin, dass die Beklagte den mit der Abschalteinrichtung versehenen Motor in den Verkehr gebracht habe. Damit habe sie zum Ausdruck gebracht, dass das Produkt den behördlichen Zulassungsprozess ohne Manipulation durchlaufen habe. In dieser Erwartung werde der Kunde getäuscht.

Angebotene Software-Nachbesserung kompensiert Schaden nicht

Der Schaden des Käufers liege in einem wirtschaftlich nachteiligen Vertrag. Er erwerbe ein mangelhaftes Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung, deren Illegalität sich aus dem Bescheid des Kraftfahrtbundesamtes zur Nachbesserungspflicht ergebe. Das Angebot des Software-Updates kompensiere diesen Schaden nicht. Die in der Verwendung der Abschalteinrichtung angelegte Täuschung wirke sich bei sämtlichen Veräußerungen des betroffenen Fahrzeuges aus.

Schaden schlägt auf Gebrauchtwagenkäufer durch

Daher erstrecke sich die Ursächlichkeit der Schädigungshandlung auf sämtliche Glieder einer Käuferkette, so auch den Kläger als Erwerber eines Gebrauchtfahrzeugs. Das Vorgehen der Beklagten sei als sittenwidrig anzusehen. Mit der Implementierung der unzulässigen Abschalteinrichtung habe die Beklagte ein System zur gezielten Verschleierung ihres Vorgehens eingerichtet. Sie habe sich das Vertrauen der Käufer in die Zuverlässigkeit des öffentlich-rechtlichen Zulassungsverfahrens zunutze gemacht und die Gewinnmaximierung mit unzulässigen Mitteln erstrebt.

VW hat mit Schädigungsvorsatz gehandelt

Der Beklagten sei auch in subjektiver Hinsicht ein Schädigungsvorsatz vorzuwerfen. Der Senat habe die Überzeugung gewonnen, dass die Entwicklung der Software mit Wissen und Wollen des seinerzeitigen Vorstandes oder eines sonstigen Repräsentanten der Beklagten erfolgte. Es liege nahe, dass die Beeinflussung der Steuersoftware einer ganzen Motorenreihe eine wesentliche Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern darstelle, die Gegenstand einer Berichtspflicht gegenüber dem Vorstand gewesen sei. Darüber hinaus habe der Kläger unter Verweis auf Veröffentlichungen in der Presse und auf öffentliche Äußerungen der Beklagten dargelegt, woraus sich aus seiner Sicht die Kenntnis einzelner Vorstandsmitglieder der Beklagten von den hier in Rede stehenden Vorgängen ergibt. Vor diesem Hintergrund habe die Beklagte im Einzelnen erläutern müssen, wie es zur Planung und dem Einbau der Software ohne die Kenntnis des Vorstandes gekommen sein könnte, um sich zu entlasten. Dazu habe die Beklagte keinen ausreichenden Vortrag geleistet.

Kläger muss sich jedoch erhaltenen Vorteil anrechnen lassen

Die Höhe des Schadensersatzes hat der Senat entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht unter Berücksichtigung eines Vorteilsausgleichs bemessen. Der Kläger müsse sich den Wert der von ihm seit dem Erwerb des Fahrzeugs gezogenen Nutzung anrechnen lassen. Die gegenteilige Betrachtungsweise werde der Zielsetzung des deutschen Schadensersatzrechts nicht gerecht. Rechtsfolge einer unerlaubten Handlung sei ausschließlich der Schadensausgleich, nicht aber eine Bereicherung des Geschädigten oder eine Bestrafung des Schädigers. Deswegen müsse sich der Geschädigte die Vorteile der Nutzung anrechnen lassen.

OLG Naumburg, Urteil vom 27.09.2019 - 7 U 24/19

Redaktion beck-aktuell, 22. Oktober 2019.