OLG Köln: Versicherungsschutz in der privaten Unfallversicherung bei Blutung infolge Marcumar-Therapie

ZPO § 286; BGB § 286 I

1. Eine lediglich erhöhte Empfänglichkeit für Krankheiten infolge individueller Körperdisposition kann solange nicht als „Gebrechen" bewertet werden, wie sie noch als innerhalb der medizinischen Norm liegend angesehen werden kann.

2. Die Marcumar-Therapie bzw. die mit ihr erreichte Blutverdünnung lassen sich als ärztliche Heilmaßname bzw. als durch eine Heilmaßnahme zielgerichtet erreichter Zustand nicht als „Gebrechen" verstehen.

OLG Köln, Urteil vom 01.02.2019 - 20 U 57/18, BeckRS 2019, 16342

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther, BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 17/2019 vom 22.08.2019

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Sachverhalt

Am 22. Mai 2015 stürzte der bei der Beklagten privat unfallversicherte Kläger, der seit dem Jahr 2000 wegen Vorhofflimmerns mit dem Blut verdünnenden Medikament Marcumar behandelt wird, beim Treppensteigen. Es bildete sich ein starkes Hämatom, weswegen der Kläger sich im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthalts vom 23. Mai bis zum 1. Juni 2015 einer Operation unterziehen musste.

Ein weiterer Klinikaufenthalt folgte vom 14. bis zum 22. Juni 2015, nachdem der Kläger, dem im Zuge der vorangegangenen Operation ärztlicherseits eine Marcumar-Pause auferlegt worden war, am 14. Juni 2015 einen Schlaganfall erlitten hatte.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von Krankenhaustagegeld und Genesungsgeld in Anspruch. Die Beklagte verweigerte die Leistungen mit der Begründung, ohne den Blutverdünner (Marcumar) wäre eine stationäre Behandlung nicht erforderlich gewesen.

Das Landgericht hatte die Klage überwiegend abgewiesen.

Rechtliche Wertung

Der Senat ändert auf die Berufung des Klägers das erstinstanzliche Urteil unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise ab.

Wegen des Krankenhausaufenthaltes vom 23. Mai bis zum 1. Juni 2015 stehe dem Kläger Krankenhaustage- und Genesungsgeld in voller Höhe zu. Diesem Krankenhausaufenthalt habe mit dem Treppensturz ein Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen zu Grunde gelegen. Bei der Marcumar-Therapie bzw. ihren körperlichen Auswirkungen, der Verdünnung des Blutes, handele es sich nicht um eine „Krankheit" oder ein „Gebrechen". Sie rechtfertigten daher keine Leistungsminderung gemäß Nr. 3 AUB.

Eine Krankheit im Sinne von Nr. 3 AUB liege dann vor, wenn ein regelwidriger Körperzustand besteht, der ärztlicher Behandlung bedarf, während unter einem Gebrechen ein dauernder abnormer Gesundheitszustand zu verstehen sei, der eine einwandfreie Ausübung normaler Körperfunktionen (teilweise) nicht mehr zulässt. Demgegenüber seien Zustände, die noch im Rahmen der medizinischen Norm liegen, selbst dann keine Gebrechen, wenn sie eine gewisse Disposition für Gesundheitsstörungen bedeuten.

Als „Krankheit" könne die Marcumar-Behandlung bzw. die durch sie bewirkte Blutverdünnung nicht angesehen werden, weil dadurch kein regelwidriger Körperzustand herbeigeführt werde, der seinerseits einer ärztlichen Behandlung bedarf, sondern die Therapie sei im Gegenteil selbst Teil der ärztlichen Behandlung eines regelwidrigen Körperzustands, der durch die Grunderkrankung (Herzrhythmusstörungen in Form von Vorhofflimmern) hervorgerufen worden ist.

Die Marcumar-Therapie bzw. die mit ihr erreichte Blutverdünnung ließen sich auch nicht als „Gebrechen", d.h. als dauernder außerhalb der medizinischen Norm liegender Körperzustand verstehen. Zwar sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits eine bloße Verstärkung der gesundheitlichen Folgen eines Unfalls durch eine frühere Verletzung als Mitwirkung eines „Gebrechens" zu werten und man könnte hier annehmen, dass allein der Gesundheitszustand (Blutverdünnung) ausreiche, sofern er tatsächlich die Unfallfolgen verstärkt hat.

Allerdings - und das ist aus Sicht des Senats letztlich maßgebend - müsse es sich um einen abnormen Gesundheitszustand handeln. Eine lediglich erhöhte Empfänglichkeit für Krankheiten infolge individueller Körperdisposition könne demnach solange nicht als Gebrechen bewertet werden, wie sie noch als innerhalb der medizinischen Norm liegend angesehen werden kann. Von einem Zustand außerhalb der medizinischen Norm aufgrund der Marcumarisierung könne hier aber nicht ausgegangen werden, weil es sich um einen medizinisch gewollten Zustand handelt. Dieser möge zwar vom natürlichen Zustand (= unverdünntes Blut) abweichen, sei aber bezogen auf die körperliche Verfassung des Klägers zur Zeit des Unfallgeschehens medizinisch angestrebt gewesen und sollte gerade dazu dienen, dass sein Körper (im Rahmen des Gesundheitszustands des Klägers) einwandfrei funktionierte. Ein damit verbundenes Risiko, wie es sich im Fall des Klägers durch die Verstärkung seiner individuellen Disposition für Verletzungsfolgen der eingetretenen Art verwirklicht haben mag, liege damit noch im medizinischen Normbereich.

Hingegen begründe der Klinikaufenthalt in der Zeit vom 14. bis zum 22. Juni 2015 Leistungsansprüche des Klägers gegen die Beklagte über den ihm erstinstanzlich zugesprochenen Betrag hinaus nicht. Bei dem Schlaganfall handele es sich nicht um eine unmittelbare Folge des streitgegenständlichen Unfallgeschehens, nämlich des Treppensturzes des Klägers.

Praxishinweis

Anders als das OLG Köln hat das OLG Koblenz (VersR 2008, 67) entschieden, dass die Blutverdünnung infolge der Einnahme von Marcuamar einer Krankheit oder einem Gebrechen im Sinne des § 8 AUB 94 gleichzusetzen sei. Sei die bei einem Sturz aufgetretene Gehirnblutung allein auf die Blutgerinnungshemmung durch Marcumar zurückzuführen, so sei der Versicherungsschutz nach § 8 AUB 94 ausgeschlossen (zust. Kloth, Private Unfallversicherung, 2. Aufl., K Rn. 153; abl. PKVersR-Brömmelmeyer, 2. Aufl., § 182, Rn. 5).

Die Einnahme eines die Blutgerinnung hemmenden Medikamentes wirft auch im Falle der Einordnung als „Gebrechen" im Weiteren Fragestellungen des Ursachenzusammenhangs und des Mitwirkungsanteils auf.

Redaktion beck-aktuell, 26. August 2019.