OLG Koblenz zum Abgasskandal: Keine deliktische Haftung wegen "Thermofenster"

Der Einbau eines "Thermofensters" begründet keine deliktische Haftung. Dies hat das Oberlandesgericht Koblenz mit Urteil vom 21.10.2019 entschieden. Denn anders als beim Einbau einer "Schummelsoftware" handele es sich nicht um eine eindeutig unzulässige Abschalteinrichtung, so dass die Verwendung des "Thermofensters" nicht per se sittenwidrig sei. Vielmehr sei in Betracht zu ziehen, dass die Verantwortlichen das "Thermofenster" in vertretbarer Gesetzesauslegung zum Zweck des Motorschutzes für zulässig gehalten haben, so dass ein besonders verwerfliches Verhalten ausscheide. Das OLG hat die Revision zugelassen (Az.: 12 U 246/19).

Geleaster Mercedes mit "Thermofenster" ausgerüstet

Der Kläger leaste im Mai 2017 ein von der Beklagten hergestelltes Neufahrzeug, einen Mercedes Benz E 350 T CDI, in dem ein Motor OM 642 der Schadstoffklasse 6 eingebaut ist. Das Fahrzeug verfügt zur Minderung der Stickoxidemissionen über eine sogenannte Abgasrückführung. Hierbei wird ein Teil des Abgases in das Ansaugsystemdes Motors zurückgeführt und nimmt erneut an der Verbrennung teil. Die Abgasrückführung wird bei geringeren Außen-/Ladelufttemperaturen zurückgefahren (sogenanntes Thermofenster). Der Kläger begehrte aus Delikt die Lieferung eines Ersatzfahrzeugs, hilfsweise Schadensersatz unter Rückgabe des Pkws. Das Landgericht Mainz (BeckRS 2019, 15593) wies die Klage ab. Dagegen legte der Kläger Berufung ein.

"Thermofenster" nicht mit "Schummelsoftware" vergleichbar

Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das OLG hat das Urteil des LG bestätigt. Dabei sei maßgeblich gewesen, dass die Verwendung des "Thermofensters" nicht eindeutig gesetzlich unzulässig und damit der Einbau dieser Steuerungssoftware nicht per se sittenwidrig sei. Sittenwidrig sei nach allgemeiner Definition ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoße und besonders verwerflich sei. Diese Voraussetzungen können nach Auffassung des OLG beim Einbau einer "Schummelsoftware" bejaht werden, weil deren Verwendung eindeutig unzulässig und dies auch den Verantwortlichen bewusst sei. Beim "Thermofenster" hingegen handele es sich nicht um eine "Schummelsoftware", denn die betreffende Motorsteuerung arbeite vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise wie auf dem Prüfstand.

Annahme der Ausnahme "Motorschutz" vertretbar

Es könne daher nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass herstellerseitig in dem Bewusstsein gehandelt wurde, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Laut OLG ist vielmehr zu berücksichtigen, dass die einschlägige Verordnung (EG) Nr. 715/2007 die Verwendung von Abschalteinrichtungen gestatte, wenn die Abschaltung erforderlich ist, um den Motor vor Beschädigung zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Auf diese Ausnahmeregelung könne im Falle des "Thermofensters" durchaus verwiesen und ernsthaft der Gesichtspunkt des Motor- respektive Bauteilschutzes angeführt werden. Eine Auslegung der gesetzlichen Regelung, wonach ein "Thermofenster" eine zulässige Abschaltvorrichtung darstellt, sei daher nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes könne nicht als ein besonders verwerfliches Verhalten angesehen und somit nicht als sittenwidrig eingestuft werden.

Vortrag zu weiteren unzulässiger Abschalteinrichtungen unzureichend

Soweit der Kläger den Einbau weiterer unzulässiger Abschalteinrichtungen behauptet hat, hat das OLG klargestellt, dass der Kläger hierzu konkret vortragen müsse. Gebe es zu dem betreffenden Motor noch keine öffentlich zugänglichen Erkenntnisse über den Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen, müsse der Kläger gegebenenfalls zunächst ein Privatgutachten einholen.

OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 - 12 U 246/19

Redaktion beck-aktuell, 23. Oktober 2019.