OLG Hamm: Rücksichtnahmepflichten von Fußgängern und Radfahrern an Kreuzungen

StVO §§ 1 II, 2, 3 I 1, 9 III 3, 25 III, 37; BGB §§ 249, 254, 823

Führt ein farblich markierter Radweg um eine Lichtzeichenanlage herum, müssen Fußgänger beim Überqueren des Radwegs auf Radfahrer Rücksicht nehmen. Wird der Radweg in einer Rechtskurve an der Lichtzeichenanlage vorbeigeführt, liegt kein Abbiegen im Sinne von § 9 StVO vor. Diese Fragen hat das Oberlandesgericht Hamm geklärt.

OLG Hamm, Urteil vom 19.01.2018 - 26 U 53/17 (LG Münster), BeckRS 2018, 1294

Anmerkung von
Rechtsanwalt Ottheinz Kääb, LL.M., Fachanwalt für Verkehrsrecht und für Versicherungsrecht,
Rechtsanwälte Kääb Bürner Kiener & Kollegen, München

Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 4/2018 vom 01.03.2018

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Sachverhalt

Am Prozess beteiligt sind eine Fußgängerin als Klägerin und ein Radfahrer als Beklagter. In einem Kreuzungsbereich befuhr der Beklagte einen markierten Radweg, den die Klägerin querte. Dabei wurde sie angefahren, stürzte und verletzte sich erheblich. Die Klägerin verlangt den Ersatz ihrer Schäden.

Rechtliche Wertung

Das Landgericht gab der Fußgängerin zu 100% recht. Der radfahrende Beklagte legte Berufung mit dem Ziel ein, ein Mitverschulden der Klägerin von 50% festzustellen. Mit der Berufung hat der Beklagte Erfolg.

Der Radweg verläuft im Kreuzungsbereich nicht völlig gerade, sondern wird um eine Lichtsignalanlage in einer Kurve herumgeleitet. Die Klägerin hatte argumentiert, dass diese Kurvenfahrt einem Abbiegen entspreche. Daher müsse ihr, der Fußgängerin, Vorrang eingeräumt werden. Die Parteien streiten auch darüber, ob die parallel zum eigentlichen Straßenkreuzungsbereich geführten Rand- und Parkstreifen sowie Geh- und Radwege noch zur Kreuzung gehören.

Das Gericht bestätigt die Auffassung des Beklagten, dass er nicht unter den Anwendungsbereich des § 9 Abs. 5 Satz 3 StVO falle. Er sei kein Abbiegender und ihn treffe somit nicht die Pflicht, auf Fußgänger besondere Rücksicht zu nehmen und gegebenenfalls zu warten. Aufgrund der von der Kreuzung losgelösten Rechtskurve des Radweges handele es sich nicht um ein «Abbiegen» im Sinne der Norm.

Weiter erläutert der Haftpflichtsenat des OLG, dass der Unfall sich im Kreuzungsbereich ereignet hat. Ein Fußgänger dürfe nicht nur die Fahrbahn, sondern auch einen Radweg unter Beachtung der Radfahrer queren. Außerdem untersucht es die Geschwindigkeit des Radfahrers: Dieser hätte jederzeit auch bei einem plötzlichen Auftreten eines Hindernissen zum Stehen kommen können müssen.

Die Klägerin sei 1946 geboren. Eine besondere Schutzvorschrift zugunsten der Klägerin aufgrund ihres Alters gebe es aber nicht. Nach alledem sei eine Haftungsteilung zwischen den Parteien angemessen.

Praxishinweis

Die Entscheidung wird hier vorgestellt. Natürlich handelt es sich um eine ganz besondere Verkehrssituation. Ob die Fahrbahnen sowie Rad- und Fußwege immer so deutlich für den unbefangenen Verkehrsteilnehmer erkennbar und zuzuordnen sind, wie es hier in diesem Urteil klar gemacht wird, erscheint immerhin zweifelhaft.

Soweit unsere Leser den 72. Geburtstag schon hinter sich haben, dürfen Sie zur Kenntnis nehmen, dass das Geburtsjahr allein keinen Schutz nach § 3 Abs. 2a StVO gewährt. Von besonderer Bedeutung ist aber, dass der Verkehrssenat die etwas ungewöhnliche Situation in allen Facetten sorgfältig untersucht und dann entscheidet.

Redaktion beck-aktuell, 9. März 2018.