OLG Hamm: Pflicht zur Beratungsdokumentation umfasst nicht die Antragsfragen

BGB § 280 I; VVG §§ 61 I 2, 62 I, 63 S. 1; ZPO § 448

Die Bearbeitung von ausdrücklich im Antrag festgehaltenen Antragsfragen ist keine «Information» im Sinn von § 62 Abs. 1 Alt. 2 VVG. Sie bedarf keiner (gesonderten) Dokumentation. Die Beweislast für Fehler des Vermittlers liegt beim Versicherungsnehmer. Der Umstand, dass im Übrigen eine Beratungsdokumentation fehlt, hilft dem Versicherungsnehmer daher hier nicht. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden.

OLG Hamm, Beschluss vom 02.01.2019 - I-20 U 145/18, BeckRS 2019, 11086

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 13/2019 vom 27.06.2019

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Sachverhalt

Der Kläger hatte einen privaten Krankenversicherungsvertrag abgeschlossen. Im Beiblatt zum Antrag nicht angegeben waren die Schwerbehinderung des Klägers und der Verlust der Milz. Die einzelnen Umstände der Fragestellung und Beantwortung der Antragsfragen gegenüber dem beklagten Versicherungsvertreter sind weitgehend ungeklärt und streitig. Der Versicherer erklärte später die Anfechtung des Vertrages.

Das Landgericht hatte die Klage auf Schadensersatz abgewiesen.

Rechtliche Wertung

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen. Dem Kläger stehe gegen den Beklagten kein Schadensersatzanspruch zu.

Ein solcher ergebe sich insbesondere nicht aus § 63 Satz 1 VVG, der für die Haftung des Versicherungsvermittlers eine spezialgesetzliche Ausformung der Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB darstellt. Der Kläger habe eine Pflichtverletzung des Beklagten bereits nicht hinreichend dargelegt, jedenfalls sei er insoweit beweisfällig geblieben.

Der Kläger sei beweisbelastet dafür, dass er entweder dem Beklagten die Schwerbehinderung und den Verlust der Milz mitgeteilt hat oder dass dies nur deshalb unterblieb, weil der Beklagte dem Kläger die Antragsfragen nur unvollständig vorlas. Die Beweislast für das Vorliegen einer Pflichtverletzung im Sinn von § 63 Satz 1 VVG treffe nach allgemeinen Regeln den Versicherungsnehmer. Dazu gehöre auch der Nachweis, dass der Versicherungsvertreter schuldhaft eine Information nicht weitergab, die der Versicherungsnehmer ihm mitgeteilt hatte.

Aus dem - hier unstreitig gegebenen - Verstoß gegen die Dokumentationspflicht aus § 61 Abs. 1 Satz 2 VVG folge keine Umkehr der Beweislast. Zwar könne die Nichtbeachtung der Dokumentationspflicht zu Beweiserleichterungen zugunsten des Versicherungsnehmers bis hin zu einer Beweislastumkehr führen. Dies komme aber hier schon deshalb nicht in Betracht, weil die Bearbeitung von ausdrücklich im Antrag festgehaltenen Antragsfragen keine «Information» im Sinn von § 62 Abs. 1 Alt. 2 VVG darstellt. § 62 Abs. 1 Alt. 2 VVG beziehe sich auf «Informationen» nach § 61 Abs. 1 VVG, also auf die Wünsche und Bedürfnisse des Versicherungsnehmers sowie die Gründe für erteilten Rat. Hierzu gehöre die Besprechung von im Antrag ausdrücklich niedergelegten Antragsfragen als solches nicht.

Praxishinweis

Der Kläger war in Bezug auf die von ihm behauptete Pflichtverletzung des Beklagten beweisfällig geblieben, da er in seiner Anhörung nicht mehr sicher sagen konnte, ob er dem Beklagten die betreffenden Informationen erteilt hat oder nicht und in welchem genauen Umfang ihm die Antragsfragen vorgelesen wurden.

Eine Umkehr der Beweislast in Bezug auf die Tatsache, dass der Versicherungsvertreter entweder eine Information nicht weitergab, die der Versicherungsnehmer ihm mitgeteilt hatte, oder dass er ihm die Antragsfragen nur unvollständig vorlas, kann indes nicht aus einer Verletzung der Pflicht zur Beratungsdokumentation abgeleitet werden. Gegenstand der Dokumentation sind nicht die Antragsfragen im Sinn des § 19 Abs. 1 VVG, sondern allein die in § 61 Abs. 1 Satz 1 VVG normierten Pflichten des Vermittlers, also die Pflicht, den Versicherungsnehmer nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen, die Pflicht zur anlassbezogenen Beratung und die Pflicht zur Angabe der Gründe für den erteilten Rat.

Redaktion beck-aktuell, 10. Juli 2019.