OLG Hamm: Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes nach Gefühl reicht nicht

OWiG § 79 III und VI; StPO § 349 II; StVO §§ 37, 49 III Nr. 2; StVG § 24; BKatV 132.3.1

Für die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes genügt laut Oberlandesgericht Hamm die bloße gefühlsmäßige Schätzung eines den Rotlichtverstoß zufällig beobachtenden Polizeibeamten alleine nicht. Es sei so nicht möglich, zuverlässig zwischen einfachem und qualifiziertem Rotlichtverstoß zu unterscheiden.

OLG Hamm, Beschluss vom 24.10.2017 - 4 RBs 404/17 (AG Paderborn), BeckRS 2017, 130700

Anmerkung von
Rechtsanwalt Ottheinz Kääb, LL.M., Fachanwalt für Verkehrsrecht und für Versicherungsrecht,
Rechtsanwälte Kääb Bürner Kiener & Kollegen, München

Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 23/2017 vom 23.11.2017

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Sachverhalt

Der Betroffene wurde vom Amtsgericht mit der Begründung «fahrlässige Nichtbefolgung eines Wechsellichtzeichens und Gefährdung Anderer – die Rotphase dauerte bereits länger als eine Sekunde» zu einer Geldbuße von 320 EUR verurteilt. Außerdem wurde ein einmonatiges Fahrverbot verhängt.

Rechtliche Wertung

Der Betroffene legte Rechtsbeschwerde ein, die teilweise von Erfolg gekrönt war. Es verblieb dabei, dass der Schuldspruch von einem Rotlichtverstoß ausgeht. Allerdings wurde der Rechtsfolgenanspruch aufgehoben, weil eine länger als eine Sekunde andauernde Rotphase nicht hinreichend durch die Beweiswürdigung belegt worden sei.

Nach den Feststellungen des Amtsrichters sei der Betroffene drei bis fünf Sekunden nach Bginn der Rotlichtphase in die Kreuzung eingefahren. Dadurch habe ein aus dem Querverkehr kommendes Fahrzeug ausweichen müssen. Bei diesem Fahrzeug habe es sich um ein Polizeifahrzeug gehandelt.

Wo dieses sich allerdings befunden habe, als an der Ampeld er Phasenwechsel stattgefunden habe, lasse sich den Feststellungen des Amtsgerichts nicht entnehmen. Dass dieses Fahrzeug «mit normaler Geschwindigkeit von geschätzt 50 km/h» gefahren sei, müsse näher konkretisiert werden, denn es stelle sich schon die Frage, weshalb die Polizeibeamten ihr Augenmerk schon vor der eigentlichen Gefahrensituation so präzise auf die gefahrene Geschwindigkeit gerichtet haben sollen. Schließlich sei auch an keiner Stelle des amtsgerichtlichen Urteils die Rede davon, wo sich die Haltelinie (für den Betroffenen, für die Polizeibeamten) befinde.

Solle durch Zeugenbeweis – ohne technische Hilfsmittel - ein qualifizierter Rotlichtverstoß bewiesen werden, so sei eine kritische Würdigung des Beweiswertes der Aussagen geboten. Insgesamt lasse sich aus den hier vorliegenden Angaben kein qualifizierter Rotlichtverstoß nachweisen.

Ob wegen der Erfüllung der weiteren Voraussetzungen nach Ziff. 132.3.1 BKatV (Dauer länger als eine Sekunde; Gefährdung) ein Fahrverbot und eine höhere Geldbuße zu verhängen seien, sei eine Frage, die den Rechtsfolgenausspruch betrifft.

Praxishinweis

Die Entscheidung räumt schon mit dem Sprachgebrauch auf, dass jemand «bei Rot über die Ampel» gefahren sei. Das setzt ja voraus, dass jemand von der Fahrbahn abkommt, dass Schäden an der Ampelanlage und am Pkw entstehen. Aber dies alles ist nicht mit dem Tatbestand für «Rotlichtsünder» zu vergleichen: Hier kommt es auf die Haltelinie an und darüber wird ganz häufig geschwiegen. Deshalb unser Rat zu dieser Entscheidung für den Praktiker: Aufheben und immer mal wieder nachlesen.

Redaktion beck-aktuell, 29. November 2017.