OLG Frankfurt am Main: Haftung bei Trainingsfahrt von Radfahrern nicht generell ausgeschlossen

Bei einer sportlich angelegten Trainingsfahrt von Radfahrern gibt es keinen generellen Ausschluss der Haftung für gegenseitig verursachte Unfälle. Dies hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Urteil vom 12.03.2020 entschieden. Das typische Risiko der Pulkfahrt realisiere sich nicht, wenn es zum Unfall beim Überholvorgang im Rahmen einer "ruhigeren Ausfahrt" komme, befanden die Richter (Az.: 1 U 31/19).

Erhebliche Verletzungen durch Sturz

Ein im Dienst des klagenden Landes Hessen stehender Beamter nahm mit dem Beklagten und 15 weiteren Teilnehmern an einer Fahrradtour teil. Auf einem Streckenabschnitt wies der befahrene Weg ein Gefälle auf. Der Beamte fuhr hier neben einem anderen Teilnehmer. Der Beklagte versuchte, diese beiden Teilnehmer zu überholen. Als er dafür auf den unbefestigten Seitenstreifen ausweichen musste, kam es zur Berührung seines Fahrrades mit dem neben dem Beamten fahrenden Teilnehmer. Dieser kollidierte daraufhin mit dem Beamten. Alle Teilnehmer stürzten. Der Beamte wurde gegen einen Baum geschleudert und zog sich erhebliche Verletzungen zu. Der Kläger verlangt vom Beklagten Schadenersatz für Heilbehandlungskosten und Dienstbezüge. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.

Fahrlässigkeit wegen Überholens trotz zu geringen Abstandes

Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Dem Kläger stehe – aus übergegangenem Recht – wegen des Unfalls ein Schadenersatzanspruch gegen den Beklagten zu. Der Beklagte habe beim Überholen keinen ausreichenden Sicherheitsabstand eingehalten und deshalb die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, begründete das OLG seine Entscheidung. Nach den Feststellungen des LG sei davon auszugehen, dass der zum linken Fahrbahnrand vorhandene Raum zum gefahrlosen Überholen nicht ausgereicht habe. Selbst nach den Angaben des Beklagten habe der Abstand zum Lenker des zu überholenden Teilnehmers der Gruppe maximal 48 Zentimeter betragen. Berücksichtige man, dass die Körperbreite eines erwachsenen Mannes nicht mit der Lenkerbreite eines Rennrades identisch sei, habe tatsächlich ein noch geringerer Abstand vorgelegen. "Indem der Beklagte trotz des geringen Platzes in dieser Situation überholte, hat er nicht beachtet, dass es wegen möglicher Schlenker zu gefährlichen Berührungen kommen könnte, und damit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und fahrlässig gehandelt", betonte das OLG. Mit Schlenkern des Überholten sei auch zu rechnen.

Kein typisches Risiko einer Trainingsfahrt im Pulk realisiert

Die Haftung des Beklagten sei hier auch nicht nach den Grundsätzen beschränkt, die bei der gemeinsamen Ausübung gefährlicher Sportarten zur Anwendung kämen. Grundsätzlich sei allerdings bei sportlichen Wettbewerben mit nicht unerheblichen Gefahrenpotenzial davon auszugehen, dass der schädigende Wettbewerber für Schäden eines Mitbewerbers ohne gewichtige Regelverletzung nicht hafte. Hintergrund hierfür sei, dass jeder Teilnehmer durch die typischen Risiken in gleicher Weise betroffen sei und es mehr oder weniger vom Zufall abhänge, ob er zu Schaden komme oder anderen Schaden zufüge. Diese Grundsätze fänden grundsätzlich auch beim Radfahren im Pulk bei einer Trainingsfahrt Anwendung. Hier habe sich jedoch nicht das typische Risiko der gemeinsamen Trainingsfahrt im Pulk, im Windschatten mit geringem Abstand der hintereinander und nebeneinander fahrenden Teilnehmer realisiert. Zum Unfallzeitpunkt sei die Teilnehmergruppe vielmehr bereits auseinandergezogen gewesen und man habe sich in einer ruhigen Phase der gemeinsamen Ausfahrt befunden. Ziel der Trainingsfahrt sei es gewesen, "schnell auf den Berg zu kommen und entspannt wieder herunterzurollen". Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Beklagte kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde die Zulassung der Revision beim Bundesgerichtshof begehren.

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 12.03.2020 - 1 U 31/19

Redaktion beck-aktuell, 25. März 2020.