OLG Frankfurt a. M.: Zusammenstoß zweier «Elektroameisen» in von mehreren Speditionen genutzter Umschlaghalle als Unfall auf gemeinsamer Betriebsstätte

SGB VII §§ 15, 104 I, 105 II 2, 106 III Alt. 3; BGB §§ 133, 157, 276, 823 I und II, 831 I

Das Schreiben eines Versicherers, in dem «der Einfachheit halber» 50% von geltend gemachten Aufwendungen gezahlt werden, kann nach Auffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main nicht ohne weiteres als Anerkenntnis gewertet werden. Die Richter bejahten außerdem die Anwendung der Haftungspriviligierung gemäß § 106 SGB VII, wenn zwei Speditionen in einer Halle Ladungen sortieren, zwischenlagern und weiterbefördern.

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 17.08.2018 - 16 U 51/16 (LG Gießen), BeckRS 2018, 24315

Anmerkung von
Rechtsanwalt Ottheinz Kääb, LL.M., Fachanwalt für Verkehrsrecht und für Versicherungsrecht,
Rechtsanwälte Kääb Bürner Kiener & Kollegen, München

Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 21/2018 vom 25.10.2018

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Straßenverkehrsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Straßenverkehrsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Straßenverkehrsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

Die Klägerin ist Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung. Auf sie sind Ansprüche übergegangen aus einem Unfall, den ein Arbeitnehmer erlitt, der bei einem Pflichtmitglied der Klägerin beschäftigt war. Der Beklagte ist Arbeitnehmer bei einer anderen Firma. Beide Firmen waren in einer Umschlaghalle tätig und beförderten mit einem elektrischen Flurfördergerät («Elektroameise» genannt) Waren auf jeweils einer beladenen Palette. In der Halle kam es zum Zusammenstoß dieser «Elektroameisen». Dabei wurde ein Unterschenkel eines der Fahrer so eingequetscht, dass er nach langer Behandlung schließlich amputiert werden musste.

Zwischen den Firmen, die in der Umschlaghalle arbeiteten, bestanden Kooperationsverträge. Jedem Unternehmen war ein bestimmtes räumliches Gebiet zugeordnet. Aus den jeweiligen Gebieten wurden von verschiedenen Unternehmen jeweils Waren entnommen und Transporte füreinander ausgeführt. Alle Unternehmen benutzten eine einheitliche EDV und ein einheitliches System für das Scannen der Barcodes zur Verfolgung der Wege der Waren. Die Umschlaghalle wurde nur von den so verbundenen Partnern genutzt. Das Be- und Entladen von Lkws erfolgte durch die jeweiligen Fahrer der Lkw, aber auch durch Mitarbeiter der Kooperationspartner. Für die Lkws lagen zum Be- und Entladen Zeitpläne vor.

Der klagende Rentenversicherungsträger, der gegen die Haftpflichtversicherung des Beklagten vorgeht, beruft sich darauf, dass ein Schuldanerkenntnis vorliege. Als Regresse angemeldet worden seien, habe der Haftpflichtversicherer ein Anerkenntnis abgegeben, 50% bezahlt und geschrieben, dass er den Vorgang «der Einfachheit halber» so handhaben wolle.

In erster Instanz hatte die Klägerin keinen Erfolg. Sie legte Berufung ein.

Rechtliche Wertung

Die Berufung wird mit dem hier vorliegenden Urteil zurückgewiesen. In der Redewendung, dass «der Einfachheit halber» bezahlt werde, bringe der Absender nur zum Ausdruck, dass lediglich eine kursorische Schadensprüfung erfolgt sei. Eine irgendwie geartete Bindungswirkung habe der Absender dabei ersichtlich nicht im Sinn gehabt.

Dafür spreche auch, dass bei der Erstanmeldung nur zwei geringfügige Beträge zum Regress angemeldet worden seien, während die insgesamt anhängigen Beträge erheblich höher geworden seien. Dass unabhängig vom wahren Rechtsgrund ein Anerkenntnis vorliegen solle, könne aus dem geltend gemachten Betrag und dem bezahlten Betrag nicht geschlossen werden. Der Erklärungswille müsse aus der Gesamtschau des Schreibens ermittelt werden.

Auch aus einem weiteren Gesichtspunkt könne die Berufung keinen Erfolg haben, so das OLG weiter. Beteiligt gewesen seien Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit miteinander verbunden waren. Dass es sich um eine größere Anzahl von Firmen und Einzelpersonen und verschiedene Rechtsformen handle, spiele keine Rolle. Von einer gemeinsamen Betriebsstätte müsse ausgegangen werden, weil die gesamten Maßnahmen in der Halle ineinandergreifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen. Es liege ein bewusstes Miteinander im Betriebsablauf vor. Die gegenseitige Verständigung erfolge stillschweigend durch bloßes Handeln.

Dazu komme als letztes noch, dass die beiden Flurförderfahrzeugführer sich nicht «irgendwo» im Straßenverkehr begegnet seien, sondern in der Halle, in der beide Firmen ihre Tätigkeit, in der Hoffnung auf einen gemeinsamen Erfolg, ausübten.

Praxishinweis

Es sind zwei Gesichtspunkte, die für derartige Regresse häufig eine Rolle spielen. Auf die Wortwahl von Versicherungen und Sozialversicherungsträgern muss geachtet werden, denn allzu leicht wird eine neue Anspruchsgrundlage geschaffen. Aus der Formulierung «der Einfachheit halber» konnte aber nicht so ohne weiteres auf ein Anerkenntnis geschlossen werden.

Zum zweiten Punkt: Wenn man sich das Gewusele in der Umschlaghalle vorstellt, dann weiß man, warum diese Flurförderfahrzeuge Ameisen heißen. Aus der Vorstellung wird gleich deutlich, warum hier sinnvollerweise von einer gemeinsamen Betriebsstätte ausgegangen wurde.

Redaktion beck-aktuell, 5. November 2018.