OLG Frankfurt a. M.: Addition der Regressbeträge des Kfz-Haftpflichtversicherers bei Obliegenheitsverletzungen

VVG § 117 V 1; ZPO § 522 II; KfZPflVV §§ 5 III 1, 6 III

Hat der Versicherte einer Kfz-Haftpflichtversicherung eine Obliegenheitsverletzung vor Eintritt des Versicherungsfalls (hier: Fahren ohne Fahrerlaubnis) und eine andere im Anschluss daran (hier: unerlaubtes Entfernen vom Unfallort) begangen, sind die Höchstbeträge für die Leistungsfreiheit des Versicherers zu addieren. Dies hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in einem Beschluss im Anschluss an den BGH (Urteil vom 14.09.2005 - IV ZR 216/04, r+s 2006, 100) entschieden.

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 27.12.2017 - 10 U 218/16 (LG Frankfurt a. M.), BeckRS 2017, 141338

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 4/2018 vom 22.02.2018

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Sachverhalt

Der Beklagte verursachte mit einem bei der Klägerin haftpflichtversicherten Pkw einen Verkehrsunfall. Dabei war er nicht im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis. Obwohl der Beklagte den Unfall bemerkt hatte, verließ er zu Fuß die Unfallstelle. In der Folge wurde er wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt.

Die Klägerin musste dem Geschädigten die durch den Unfall entstandenen Schäden in Höhe von insgesamt 9.193,41 EUR ersetzen. Wegen dieses Betrages nebst Zinsen und vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nahm sie nunmehr den Beklagten in Regress.

Der Beklagte meint, der Klägerin stehe ein Regressanspruch nur in Höhe von 5.000,00 EUR zu.

Das in erster Instanz entscheidende LG Frankfurt gab der Klage statt.

Rechtliche Wertung

Das OLG Frankfurt wies die Berufung des Beklagten gemäß § 522 Abs. 2 ZPO mangels Erfolgsaussicht zurück. Denn der Klägerin stehe ein Anspruch gemäß § 117 Abs. 5 Satz 1 VVG zu. Im Innenverhältnis sei sie gegenüber dem Beklagten leistungsfrei geworden, weil dieser die in den AVB festgelegten Obliegenheiten verletzt habe.

Zwar sei die Leistungsfreiheit der Klägerin der Höhe nach für die Obliegenheitsverletzungen «Fahren ohne Fahrerlaubnis» und «Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort» jeweils auf 5.000 EUR beschränkt. Jedoch seien bei der Verletzung von Obliegenheiten, die den Versicherten vor und die ihn nach dem Versicherungsfall treffen, die Beträge, für die Leistungsfreiheit besteht, zu addieren. Insoweit sei der Rechtsprechung des BGH (a.a.O.) und der herrschenden Auffassung zu folgen. Rechtsgrundlage für die Zusammenrechnung sei – so schon der BGH – die Auslegung der Versicherungsbedingungen.

Die Verdopplung stehe auch nicht im Widerspruch zu höherrangigem Recht wie der KfZPflVV, die in den §§ 5 und 6 ebenfalls zwischen Obliegenheiten vor und nach dem Versicherungsfall unterscheide.

Man komme auch nicht zu einer noch höheren Vervielfachung, wenn der Versicherte gegen weitere Obliegenheiten verstoßen hat, denn die Erhöhung knüpfe nicht an die Zahl der insgesamt verletzten Obliegenheiten an, sondern allein an die Unterscheidung von Obliegenheiten vor und nach dem Versicherungsfall. So beschränke sich die Leistungsfreiheit bei der Verletzung mehrerer Obliegenheiten, die vor dem Versicherungsfall zu erfüllen sind, gleichwohl auf 5.000 EUR. Das gleiche gelte für Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall.

Schließlich habe das Landgericht zutreffend eine besonders schwerwiegende vorsätzlich begangene Verletzung der Aufklärungspflicht im Sinne des § 6 Abs. 3 KfZPflVV bejaht, bei der die Obergrenze der Leistungsfreiheit nicht nur bei 2.500 EUR, sondern bei 5.000 EUR liege.

Praxishinweis

Der vorliegende Beschluss liegt auf einer Linie mit der Rechtsprechung des BGH (s. grundlegend BGH a.a.O.: Trunkenheitsfahrt mit anschließender Unfallflucht) sowie der herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (OLG Celle, Beschluss vom 26.07.2012 - 8 W 39/12, r+s 2014, 59; Stiefel/Maier/Maier, Kraftfahrtversicherung, AKB, 19. Aufl. 2017, AKB 2015 D.2 Rn. 73; Link, SVR 2018, 8, 12).

In der Kommentarliteratur zu den AKB 2015 wird zur Begründung für die Zulässigkeit der Addition ausgeführt, dass die vor und nach Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllenden Obliegenheiten voneinander unabhängig in Abschnitt D AKB 2015 einerseits und Abschnitt E AKB 2015 andererseits geregelt seien und auch unter verschiedenen Überschriften voneinander unabhängige Materien regelten. Dies werde der durchschnittliche Versicherungsnehmer so verstehen, dass die vorgesehenen Rechtsfolgen unabhängig voneinander eintreten, so dass eine Addition zulässig sei (Langheid/Wandt/Maier, Münchener Kommentar zum VVG, Band 3, 2. Aufl. 2017, Grundlagen der Kraftfahrtversicherung Rn. 219; ders. in: Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, AKB, 19. Aufl. 2017, AKB 2015 D.2 Rn. 73).

Redaktion beck-aktuell, 12. März 2018.