OLG Dresden: Krankentagegeldversicherung – Arbeitsunfähigkeit bei möglicher Umorganisation

MB/KT 2009 §§ 1 I Nr. 3, 9 III, 10, 15 Ib; VVG § 28 II 1, III, IV

Das Oberlandesgericht Dresden hat entschieden, dass eine Arbeitsunfähigkeit im Sinn der Bedingungen einer Krankentagegeldversicherung auch dann vorliegt, wenn der Versicherte bei einer Umorganisation seines Arbeitsbereiches imstande wäre, ganz oder teilweise seiner Arbeit nachzugehen. Für den Einwand der Berufsunfähigkeit ist bei der Krankentagesgeldversicherung der Versicherer beweisbelastet. Ein solcher Beweis ist nicht geführt, wenn zum behaupteten Zeitpunkt ein medizinischer Befund nicht vorliegt.

OLG Dresden, Urteil vom 21.08.2018 - 4 U 1573/17 (LG Dresden), BeckRS 2018, 19801

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 18/2018 vom 06.07.2018

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Sachverhalt

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung von Krankentagegeld aus einer zwischen den Parteien im Jahr 1996 geschlossenen privaten Krankentagegeldversicherung. Er verlangt für die Zeit vom 19.06.2015 bis einschließlich 31.12.2016 täglich 51,13 EUR, zahlbar ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit.

Der Kläger war im Jahr 2012 als selbstständiger Projektentwickler für die Entwicklung von Windkraftanlagen tätig. Der von der Beklagten dem Kläger gegenüber am 22.05.2015 bescheinigten bedingungsgemäßen Arbeitsunfähigkeit war ein Haftaufenthalt des Klägers vom 20.12.2012 bis zum 19.05.2014 vorausgegangen. Weiter war der Bescheinigung vorausgegangen ein stationärer Aufenthalt im Psychiatrischen Krankenhaus O. vom 20.01.2015 bis zum 06.05.2015. Dort wurden unter anderem diagnostiziert: eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, eine Abhängigkeit von Sedativa oder Hypnotika, eine posttraumatische Belastungsstörung und eine Agoraphobie (Platzangst) mit Panikstörung.

Nachdem der Kläger seit dem 22.05.2014 von der Beklagten bereits Krankentagegeld bezogen hatte, forderte diese ihn mit Schreiben vom 27.05.2015 auf, sich zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit durch einen von der Beklagten benannten Gutachter untersuchen zu lassen. Als Untersuchungstermin wurde der 19.06.2015 benannt. Nachdem der Kläger diesen Termin mit der Begründung nicht wahrnahm, hierzu gesundheitlich nicht in der Lage zu sein, stellte die Beklagte mit Wirkung zum selben Datum die Krankentagegeldzahlungen ein. Rund 3 Wochen später, am 10.07.2015, kam es dann tatsächlich zur Begutachtung durch den beklagtenseits benannten Sachverständigen.

Dieser kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger nicht arbeitsunfähig ist. Zu entgegenstehenden Ergebnissen kamen aber zwei Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie sowie der behandelnde psychologische Psychotherapeut R. K.

Das vom erstinstanzlichen Gericht eingeholte fachpsychiatrische Gutachten erachtete den Kläger für arbeitsunfähig. Infolge der Beweisaufnahme kam das Landgericht zu dem Ergebnis, der Kläger sei zwar nicht berufs-, aber für den beantragten Leistungszeitraum als arbeitsunfähig anzusehen und sprach die begehrten Leistungen vollumfänglich zu.

Rechtliche Wertung

Die zulässige Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des LG Dresden bleibt in der Sache ohne Erfolg. Zu Recht habe das Landgericht dem Kläger das begehrte Krankentagegeld für den Zeitraum vom 19.06. bis 31.12.2016 nebst dazugehörigen Zinsen zugesprochen, so das OLG.

Der Kläger habe einen Anspruch auf Gewährung von Krankentagegeld auf der Grundlage von § 1 Abs. 1, Abs. 3 MB/KT 2009, weil er nachgewiesen habe, im geltenden Zeitraum arbeitsunfähig im Sinn von § 1 Abs. 3 MB/KT 2009  gewesen zu sein.

Aufgrund der Ausführungen des Gerichtssachverständigen in dessen Gutachten vom 22.10.2016 ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger seine Geschäftstätigkeit im geltend gemachten Zeitraum nicht, auch nicht teilweise, ausführen konnte.

Zwar liege eine Arbeitsunfähigkeit nach § 1 I Ziffer 3 der MB/KT 2009 nur dann vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann. Hier sei allerdings wegen der Besonderheiten der Krankentagegeldversicherung Folgendes zu berücksichtigen, so das OLG weiter: Es sei nicht danach zu fragen, ob der Kläger durch eine Verlegung seines Arbeitsplatzes in den häuslichen Bereich ganz oder teilweise seiner Arbeit nachgehen könnte. Denn ein Wechsel der Arbeitssituation werde dem Versicherten im Rahmen einer Krankentagegeldversicherung nicht zugemutet, weil diese den erkennbaren Zweck habe, einen nur vorübergehenden Ausfall der Arbeitskraft auszugleichen.

Aus diesem Grunde komme es auch nicht darauf an, ob der Kläger seine damals ausgeübte Tätigkeit so hätte umorganisieren können, dass sie noch ihre wesentliche Ausprägung im Kern behalten hätte. Damit bleibe es bei der Frage nach der Berufsunfähigkeit exakt bei der geschilderten Tätigkeit. Für den streitgegenständlichen Zeitraum war der Kläger damit als vollständig arbeitsunfähig im Sinne der Versicherungsbedingungen anzusehen.

Darüber hinaus war der Kläger im geltend gemachten Zeitraum nicht berufsunfähig im Sinne des § 15 Abs. 1b MB/KT 2009. Nach § 15 Abs. 1b MB/KT würde dies die Leistungspflicht im Rahmen der Krankentagegeldversicherung entfallen lassen.

Eine Leistungskürzung oder gar Reduzierung auf Null wegen einer Obliegenheitsverletzung komme ebenso nicht in Betracht.

Praxishinweis

Das vorliegende Urteil hebt die Erheblichkeit der richtigen Abgrenzung zwischen Arbeitsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit hervor.

Entscheidend ist diese insbesondere für eine Abgrenzung zwischen einer Krankentagegeldversicherung und einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Ein Versicherungsfall in der Krankentagegeldversicherung ist bei Arbeitsunfähigkeit gegeben. Für einen Leistungsanspruch aus der Berufsunfähigkeitsversicherung muss eine Berufsunfähigkeit des Versicherten eingetreten sein.

Maßstab für die Prüfung der Arbeitsunfähigkeit ist der bisher ausgeübte Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung. Daher kann der Versicherer den Versicherten nicht darauf verweisen, unter Kapitaleinsatz eine Weiterführung seiner bisherigen Tätigkeit unter geänderten Bedingungen zu ermöglichen (BGH, Urteil vom 20.05.2009 - IV ZR 274/06, r+s 2009, 380). Dies ergibt sich daraus, dass der erkennbare Zweck der Krankentagegeldversicherung darin besteht, einen nur vorübergehenden Ausfall der Arbeitskraft auszugleichen (BGH, Urteil vom 09.03.2011 - IV ZR 137/10, r+s 2011, 256, Anmerkung Grams in FD-VersR 2011, 317043).

Die Berufsunfähigkeit setzt dagegen die Prognose voraus, dass der arbeitsunfähige Versicherungsnehmer auf nicht absehbare Zeit in dem ausgeübten Beruf erwerbsunfähig bleiben wird (Prölss/Martin/Voit MB/KT 2009 § 15 Rn. 23-25, beck-online). Lässt sich voraussagen, dass der Versicherungsnehmer irgendwann wieder erwerbstätig werden kann, sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, auch wenn der Zeitpunkt der Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit offen ist.

Teilweise wird dies korrigiert, indem die Unabsehbarkeit bereits dann bejaht wird, wenn der Versicherungsnehmer während eines «überschaubaren Zeitraumes» erwerbsunfähig bleibt (OLG Hamm, Urteil vom 23.01.1991 - 20 U 194/90, VersR 1992, 225).

Kann durch eine Umorganisation die Erwerbsunfähigkeit vermieden werden, kann und muss diese Möglichkeit ergriffen werden, so dass kein Versicherungsfall gegeben ist (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 23.09.2016 - 9 U 27/15, r+s 2018, 29; OLG Hamm, Urteil vom 18.02.2005 - 20 U 174/04, r+s 2006, 423).

Redaktion beck-aktuell, 21. September 2018.