OLG Celle: Hausratversicherung - Subjektive Gefahrerhöhung durch frühere Drogenproduktion im versicherten Wohnhaus

VVG §§ 19 I 1, 23 I, 26 I 1, III Nr. 1, 27; ZPO §§ 513 I Alt.1 u. 2, 546; VHB §§ 10 Nr. 1, 11 Nr. 1 S. 2, Nr. 5

Die Aufnahme einer Drogenproduktion im Keller des versicherten Wohnhauses zum Zweck des Drogenhandels stellt eine subjektive Gefahrerhöhung gemäß § 23 Abs. 1 VVG dar. Dies hat das Oberlandesgericht Celle in einem Urteil entschieden. Für Mittäter, Abnehmer und andere Personen aus dem Milieu, die von der im großen Stil durchgeführten Drogenproduktion Kenntnis erlangen konnten, ergebe sich fortdauernd ein erheblicher Anreiz für einen Einbruchdiebstahl. Dies gelte gerade auch für die Zeit der Inhaftierung des Versicherungsnehmers nach der Schließung seines Drogenlabors.

OLG Celle, Urteil vom 10.11.2016 - 8 U 101/16, BeckRS 2016, 123051

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 15/2017 vom 27.07.2017

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Sachverhalt

Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer im Jahr 2005 mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossenen Hausratversicherung wegen eines Einbruchdiebstahls in Anspruch, der sich im Juli 2012 in seinem Wohnhaus ereignet haben soll. Ursprünglich war vereinbarter Versicherungsort die damalige Wohnung des Klägers. In das Wohnhaus sind der Kläger und seine Ehefrau Anfang des Jahres 2009 gezogen.

Zum Zeitpunkt des behaupteten Einbruchdiebstahls befand sich der Kläger in Haft. Im Mai 2009 hatte die Polizei im Keller des Hauses ein chemisches Labor vorgefunden, wo der Kläger jedenfalls 2.350 g Methamfetamin zum Weiterverkauf hergestellt hat. In der Folge befand sich der Kläger ab September 2010 zunächst in Untersuchungshaft, bis er im März 2011 wegen Drogenhandels verurteilt wurde. Im Mai 2011 gab der Kläger im Rahmen einer eidesstattlichen Versicherung an, dass er über keine Wertsachen verfüge. Im April 2012 wurde der Kläger zudem wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt. Gegenüber der Sachverständigen der Beklagten gab der Kläger an, als selbständiger Chemiker nutze er das Labor für Patentforschung für die Parfümherstellung. Im Juni 2014 wurde der Kläger wiederum wegen unerlaubten Drogenbesitzes zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Dem lag zu Grunde, dass der inhaftierte Kläger nach dem Datum des behaupteten Einbruchs erfahren habe, dass sich noch weiteres Methamfetamin - knapp 2 kg - in einem Versteck im Haus befunden habe.

Der Kläger behauptete, ihm seien Gegenstände mit einem Wiederbeschaffungswert von 38.331,84 EUR entwendet worden. Im Labor seien bei Schadenseintritt weder gefährliche Chemikalien gelagert noch Drogen produziert worden, sodass keine Gefahrerhöhung vorgelegen habe. Er habe seiner Ehefrau seinen gesamten Hausrat übereignet gehabt.

Der Kläger machte Zahlungsansprüche i.H.v. 46.281,84 EUR nebst Zinsen sowie die Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren geltend.

Das Landgericht gab der Klage i.H.v. 29.337,57 EUR nebst Zinsen statt.

Rechtliche Wertung

Auf die Berufung der Beklagten wies das OLG Celle die Klage insgesamt ab. Es sei zwar nicht auszuschließen, dass ein Versicherungsfall vorliege. Trotz der Inhaftierung des Klägers sei das Haus zur Zeit des behaupteten Einbruchdiebstahls noch Versicherungsort gemäß § 10 Nr. 1 VHB 2000 gewesen. Eine Inhaftierung sei kein Wohnungswechsel. Ein durchschnittlicher, verständiger Versicherungsnehmer würde einen Haftraum nicht als „neue Wohnung“ i.S.d. § 11 Nr. 1 VHB 2000 ansehen.

Ob ein Einbruchdiebstahl vorliegt, könne aber dahingestellt bleiben, weil die Beklagte gemäß §§ 23 Abs. 1, 26 VVG wegen einer vorsätzlichen Gefahrerhöhung von ihrer Leistungspflicht frei geworden sei. Die - unstreitige - Aufnahme einer Drogenproduktion in der versicherten Wohnung habe die Gefahr eines Einbruchdiebstahls erheblich erhöht. Die hergestellten Drogen –ca. 4.500 g– seien von beträchtlichem Wert gewesen. Der Kläger habe für 1 g Methamfetamin 35 € erhalten, der Weiterverkauf erfolgte zu 110 €. Für Mittäter, Abnehmer und andere Personen aus dem Milieu habe sich ein erheblicher Anreiz für einen Einbruch ergeben, da sie vermuten konnten, dass sich Drogen und Bargeld in dem Haus befinden.

Der Zustand erhöhter Gefahr sei zudem von ausreichender Dauer gewesen. Gerade auch nach der Inhaftierung des Klägers habe sich fortdauernd ein ganz erheblicher Anreiz ergeben, in das Haus einzubrechen. Dass dabei auch andere Wertgegenstände entwendet werden würden, liege auf der Hand. Die Aufnahme der Drogenherstellung sei auch erst nach dem Abschluss des Versicherungsvertrages erfolgt.

Es handele sich außerdem nicht nur um eine unerhebliche Gefahrerhöhung i.S.d. § 27 VVG. Es liege ferner auf der Hand, dass diese Gefahrerhöhung nicht mitversichert sein sollte. Dem stehe nicht entgegen, dass die Beklagte bei Vertragsschluss nicht danach gefragt hat, ob eine solche Straftat am Versicherungsort beabsichtigt ist.

Die Aufnahme der Drogenproduktion sei vorsätzlich erfolgt. Auch habe der Kläger die Verpflichtung aus § 23 Abs. 1 VVG vorsätzlich verletzt; es liege auf der Hand, dass mit der Drogenherstellung die Gefahr einhergeht, dass Mitwisser in das Haus einbrechen. Er hätte auch nicht annehmen können, dass dieses Risiko von der Hausratversicherung umfasst ist.

Die Beklagte bliebe auch nicht gemäß § 26 Abs. 3 Nr. 1 VVG zur Leistung verpflichtet. Es könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Einbruch wegen der Drogenproduktion begangen wurde. Vielmehr lege das Spurenbild sogar nahe, dass die Täter auf der Suche nach dem Drogenversteck waren. So seien im Labor die Verkleidungen von Fußboden und Wandschränken „komplett abgerissen“ worden. Dies entspreche nicht dem üblichen Bild eines Wohnungseinbruchdiebstahls.

Praxishinweis

1. Der Senat des OLG Celle erteilt dem Erstgericht, welches das Vorliegen einer andauernden Gefahrerhöhung aufgrund der Inhaftierung des Klägers zum Zeitpunkt des behaupteten Einbruchs verneint hatte, eine klare Absage. Das Argument des Landgerichtes, nach der Auflösung des Drogenlabors bestehe keine Gefahrerhöhung mehr, war ein saltus in concludendo. Die Gefahrerhöhung wirkt vielmehr weiter fort, z.B. weil frühere „Kunden“ nach Drogenverstecken suchen o.a.

2. In der Rechtsprechung ist auch in anderen Bereichen anerkannt, dass Verbindungen zu einem kriminellen Umfeld eine Gefahrerhöhung auszulösen vermögen. So hat das OLG Hamm die Änderung der gewerblichen Nutzung von Räumlichkeiten zur Nutzung als Bordell – zuvor: Kfz-Werkstatt – als eine Gefahrerhöhung in der Gebäudeversicherung eingestuft (OLG Hamm, Urt. v. 12. 11. 2014 – 20 U 261/12, r+s 2015, 235; s. hierzu Günther, FD-VersR 2015, 368647). Auch bei einer Umwandlung eines Hotelbetriebs in ein Bordell liegt der Grund für die Gefahrerhöhung darin, dass der Betrieb eines Bordells vielfach in Verbindung mit dem kriminellen Milieu steht und deshalb unkalkulierbare Brandgefahren nahelegt (s. z.B. OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.03.1995 - 4 U 38/94, r+s 1996, 147).

3. Bei der Beurteilung, ob bei einem längeren Aufenthalt in einer JVA ein Wohnungswechsel i.S.d. § 11 VHB und damit ein geänderter Versicherungsort vorliegt, lässt der Senat des OLG Celle außen vor, dass in Rechtsprechung und Literatur unter einem Wohnungswechsel die Verlegung des Lebensmittelpunktes verstanden wird (vgl. nur OLG Frankfurt a.M. VersR 2001, 236; OLG Köln VersR 2000, 450; Halbach, in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 3. Aufl. 2015, § 11 VHB Rn. 1; Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 29. Aufl. 2015, VHB § 11 Rn. 1 jew. m.w.N.). Im Rahmen der Hausratversicherung besteht mithin dort Versicherungsschutz, wo der Versicherungsnehmer zum Schadenzeitpunkt seinen Lebensmittelpunkt besaß (Langheid/Wandt/Spielmann, VVG, 2. Aufl. 2017, Sachversicherung, Rn. 146). Dabei kann es durchaus Grenzfälle geben. So hat das LG Köln mit Urteil vom 8.3.2007 (– 24 O 397/06, VersR 2007, 1556) entschieden, dass bei einer längeren Verweildauer des Versicherungsnehmers in einem Wohnstift mit betreutem Wohnen (im Fall: ein halbes Jahr) in diesem Wohnstift auch die neue Wohnung sei, auch wenn der Versicherungsnehmer seine alte Wohnung mit Hausrat nicht aufgibt, weil er beabsichtigt, dort wieder zu wohnen (Langheid/Wandt/Spielmann, VVG, 2. Aufl. 2017, Sachversicherung, Rn. 147).

Redaktion beck-aktuell, 9. August 2017.