OLG Celle: Größe des Gerichtsbezirks für die Erstattung der Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts nicht maßgeblich

ZPO § 91 II 1

Beauftragt die im Gerichtsbezirk ansässige Partei einen außerhalb des Gerichtsbezirks niedergelassenen Rechtsanwalt, sind dessen tatsächliche Reisekosten in der Regel nicht bis zur höchstmöglichen Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks erstattungsfähig, sondern lediglich bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten des am Wohn- oder Geschäftssitz der Partei ansässigen Prozessbevollmächtigten. (Leitsatz der Schriftleitung)

OLG Celle, Beschluss vom 09.03.2018 - 2 W 43/18, BeckRS 2018, 10294

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 13/2018 vom 27.06.2018

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Sachverhalt

Der in S. ansässige Kläger erhob gegen die in S. und H. ansässigen Beklagten vor dem LG Stade Klage. Mit Urteil wies das LG Stade die Klage ab und erlegte dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auf. Die Beklagten, die durch ihren in C. ansässigen Prozessbevollmächtigten vertreten wurden, stellten im Kostenfestsetzungsantrag vom 10.10.2017 den Antrag, gegen den Kläger Kosten iHv insgesamt 15.608,99 EUR festzusetzen, wobei ein Betrag iHv 518,40 EUR auf Fahrtkosten und 210 EUR auf Tage- und Abwesenheitsgelder entfielen. Soweit es den Fahrtkostenansatz betrifft, lag diesem eine Gesamtkilometerzahl von 1.728 zugrunde, wobei im Einzelnen die vollen Kilometer für Fahrten von C. nach S. und zurück in Ansatz gebracht wurden. Soweit es die Tage- und Abwesenheitsgelder betrifft, beantragten die Beklagten die Festsetzung von 40 EUR, weil die Wahrnehmung der Termine durch den Prozessbevollmächtigten mehr als vier Stunden gedauert habe. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss wurden die von dem Kläger an die Beklagten zu erstattenden Kosten auf insgesamt 14.953,78 EUR zzgl. Zinsen festgesetzt. Zur Begründung führte der Rechtspfleger aus, dass der Antrag hinsichtlich der geltend gemachten Reisekosten übersetzt sei. Beauftrage eine im Gerichtsbezirk ansässige Partei einen außerhalb des Gerichtsbezirks niedergelassenen Rechtsanwalt, so seien dessen tatsächliche Reisekosten regelmäßig nicht bis zur höchstmöglichen Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks erstattungsfähig, sondern lediglich bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten des am Wohnsitz der Partei ansässigen Prozessbevollmächtigten. Es seien mithin 655,21 EUR abzusetzen. Gegen diesen Kostenfestsetzungsbeschluss legten die Beklagten sofortige Beschwerde ein. Die sofortige Beschwerde wandte sich gegen die Absetzungen bei den Fahrtkosten und dem Abwesenheitsgeld. Zur Begründung machten die Beklagten geltend, dass richtigerweise die höchstmögliche Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks von N. nach S. und zurück für fünf stattgefundene und einen kurzfristig abgesagten Termin in Ansatz hätte gebracht werden müssen. Die sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Rechtliche Wertung

Die Frage, ob bei der Einschaltung von Rechtsanwälten, die außerhalb des Gerichtsbezirkes ansässig sind, fiktive Reisekosten bis zur Gerichtsbezirksgrenze erstattungsfähig seien, werde in der Rspr. unterschiedlich beantwortet. Der BGH vertrete seit Langem die Ansicht, dass es sich, wenn eine Partei, die im eigenen Gerichtsstand verklagt werde, mit ihrer Vertretung aber einen auswärtigen Rechtsanwalt beauftrage, bei dem dadurch anfallenden Mehraufwand regelmäßig nicht um Kosten handele, die für eine zweckentsprechende Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig seien. Lediglich die Beauftragung eines Rechtsanwalts, der seine Kanzlei in der Nähe des Wohn- oder Geschäftsortes der Partei habe, sei idR als notwendige Maßnahme der Rechtsverfolgung oder -verteidigung anzuerkennen.

Das LG Düsseldorf (NJW 2015, 498) verkenne die eindeutige gesetzliche Regelung in § 91 II 1 2. Hs. ZPO. § 91 II 1 2. Hs. ZPO bestimme, dass Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohne, nur insoweit erstattungsfähig seien, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war.

Sei die Zuziehung eines Rechtsanwalts am dritten Ort zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht notwendig, komme nach der gesetzlichen Regelung die Erstattung von Reisekosten überhaupt nicht in Betracht. Die Ansicht des LG Düsseldorf, würden einem Rechtsanwalt innerhalb des Gerichtsbezirks Reisekosten bis zur Bezirksgrenze erstattet, einem Rechtsanwalt außerhalb des Gerichtsbezirks aber nicht einmal ein anteiliger Betrag, würde der Prozessbevollmächtigte am dritten Ort gegenüber dem Rechtsanwalt im Gerichtsbezirk schlechter gestellt, sei schon im Ansatz verfehlt. Es gehe im Kostenfestsetzungsverfahren nicht um die Kosten des Rechtsanwalts, sondern um die Kosten der Partei, die diese ihrem Rechtsanwalt zu zahlen habe und die sie vom Gegner erstattet verlangen könne.

Im Übrigen habe das LG Düsseldorf bei seiner Entscheidung den Sinn und Zweck des § 91 II 1 2. Hs. ZPO verkannt. Dieser diene ersichtlich dem Schutz einer Partei und der in einem Gerichtsbezirk tätigen oder wohnhaften Rechtsanwälte. Jede Partei solle grds. einen Rechtsanwalt im Gerichtsbezirk mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragen. Tue sie das, solle ihr nicht entgegengehalten werden können, sie hätte einen näher bei dem jeweiligen Gericht tätigen Rechtsanwalt beauftragen müssen, um Reisekosten zu sparen. Insofern solle die Regelung der Partei dienen, der es freistehen solle, ohne wirtschaftliche Nachteile jeden Rechtsanwalt in einem Gerichtsbezirk beauftragen zu können. Andersherum solle jedem Rechtsanwalt die Möglichkeit gegeben werden, jedenfalls theoretisch von jeder Partei in einem Gerichtsbezirk beauftragt werden zu können, es solle kostenrechtlich nicht nur der Rechtsanwalt privilegiert werden, der seinen Kanzleisitz neben dem Gericht habe.

Angesichts der in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen unterschiedlichen Auffassungen sei die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.

Praxistipp

Neben dem OLG Celle sind die Oberlandesgerichte Frankfurt a. M. (NJOZ 2016, 707) und Karlsruhe (IBRRS 2017, 1571) der Auffassung, dass die Kosten eines außerhalb des Gerichtsbezirks ansässigen Anwalts für die Anreise zum Gerichtsort nicht in Höhe der fiktiven Kosten für eine Anreise vom weitest entfernten Ort innerhalb des Gerichtsbezirks erstattungsfähig sind. Die Gegenauffassung vertreten außer dem LG Düsseldorf (NJW 2015, 498) die Oberlandesgerichte Schleswig (NJW 2015, 3311) und Köln (BeckRS 2015, 20012) (vgl. zum Streitstand auch Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, 23. Aufl. 2017, VV 7003, 7004, 7005, 7006 RVG Rn. 109 a; und Ebert in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl. 2018, Vorbem. 7 I, Rn. 37).

Redaktion beck-aktuell, 11. Juli 2018.