BVerfG-Vize für Entflechtung der Bund-Länder-Befugnisse

Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, hat sich für eine Reform des Föderalismus ausgesprochen. In der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ) vom 21.05.2019 riet der Jurist konkret dazu, die Zuständigkeiten von Bund und Ländern wieder schärfer zu trennen. Dass jede Ebene am Ende für alles zuständig ist, sei nicht erstrebenswert, so Harbarth.

Politische Verantwortlichkeiten sollten klar zuzuordnen sein

“In einem Bundesstaat benötigen Bund wie Länder eigenständige politische Gestaltungsspielräume", sagte Harbarth. "Die zunehmende Verschränkung politischer Verantwortung ist in der Tendenz problematisch. Es ist nicht erstrebenswert, dass jede Ebene am Ende für alles zuständig ist und die Bürger die politische Verantwortung für Erfolge und Misserfolge nicht mehr zuordnen können", sagte der Vorsitzende des Ersten Senats am BVerfG. Ziel sollte vielmehr die Entflechtung von Zuständigkeitsbereichen mit eigenständiger Verantwortung und klarer Zuordnung politischer Verantwortlichkeiten sein, fügte er hinzu.

Föderalismus als Organisationsprinzip verteidigt

Kritisch betrachtete der BVerfG-Vize daher auch Verfassungsänderungen der Vergangenheit. So beschleiche ihn Skepsis bei der Frage, "ob die Entwicklung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Verhältnis von Bund und Ländern wirklich segensreich war". Harbarth verteidigte den Föderalismus als Organisationsprinzip des Staates vehement. "Der Föderalismus ist seit jeher ein Strukturprinzip deutscher Verfassungen und hat sich im Kern in den vergangenen sieben Jahrzehnten bewährt."

Innerstaatlich ausgleichende und befriedende Wirkung des Föderalismus hervorgehoben

Ein Zentralstaat berge die Gefahr, dass sich Menschen etwa in Ermangelung regionaler Autonomie nicht hinreichend vertreten sähen. Der Föderalismus habe deshalb eine innerstaatlich ausgleichende und befriedende Wirkung, so Harbarth. "Wenn man diese Vorteile angemessen würdigt, muss man auch bereit sein, unterschiedliche Regelungen – freilich in Grenzen – in Kauf zu nehmen." Das BVerfG sorge sich um den Zustand der Rechtsstaatlichkeit in Osteuropa, erklärte Harbarth weiter.

Sorge über Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in bestimmten EU-Staaten

Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte Harbarth, "die Entwicklung in einigen europäischen Staaten weg von einem Rechtsstaat und damit weg von der Gewährleistung von Recht und Freiheit sowohl des Einzelnen als auch der Gemeinschaft ist besorgniserregend". Allein die derzeitige polnische Regierungspartei habe mit über zehn Gesetzen versucht, in das Justizsystem einzugreifen. Der EU-Vertrag enthalte ein klares Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit in Europa. Dies schließe die Unabhängigkeit der Gerichte ein. Hieran hätten sich alle Mitgliedstaaten zu halten, sagte Harbarth als Vertreter des Karlsruher Gerichts.

Redaktion beck-aktuell, 21. Mai 2019.