Neue Richtervereinigung: Forderung des Einhaltens bestimmter Erledigungszahlen gefährdet richterliche Unabhängigkeit

Nach Ansicht der Neuen Richtervereinigung (NRV) gefährdet es die richterliche Unabhängigkeit, wenn Richter dazu angehalten werden, ihre Erledigungszahlen so zu steigern, dass sie den durchschnittlichen Erledigungszahlen anderer Richter entsprechen. Die Vereinigung unterstützt deshalb das Vorgehen eines Richters gegen entsprechende Maßnahmen der ehemaligen Präsidentin des Oberlandesgerichts Karlsruhe Christine Hügel. Mit dem Fall werde sich am 21.05.2019 der Dienstgerichtshof für Richter beim Oberlandesgericht Stuttgart erneut beschäftigen, teilt die NRV mit (Az.: DGH 1/18).

BGH verwies Sache zurück

Hügel habe seinerzeit dem betroffenen Richter, dessen konkreter Arbeitseinsatz außer Streit steht, angeblich unterdurchschnittliche Erledigungszahlen vorgehalten und ihn deswegen zu Mehrerledigungen ermahnt. Das hiergegen durch den betroffenen Richter angestrengte Verfahren habe vor den Dienstgerichten zunächst keinen Erfolg gehabt, so die NRV. Allerdings sei die Sache mit einem Urteil des BGHDienstgericht des Bundes – aus dem Jahr 2017 an den Dienstgerichtshof zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen worden (NJW 2018, 158).

NRV sieht Verstoß gegen Art. 97 Abs. 1 GG

"Wir unterstützen den betroffenen Richter weiterhin bei seinem Vorgehen gegen die klar unrechtmäßigen Maßnahmen von Frau Dr. Hügel", sagte der Sprecher der Fachgruppe Gewaltenteilung in der NRV, Peter Pfennig. Der BGH habe das Urteil der Vorinstanz zwar zu Recht aufgehoben, aber leider keine Position in der Sache bezogen. Dies wäre aus Sicht der NRV jedoch erforderlich gewesen. Denn die angefochtenen Maßnahmen verstießen gegen den eindeutigen Wortlaut des Art. 97 Abs. 1 GG. Danach seien die Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.

Entscheidungsfindungen würden von fiktiver Rechengröße abhängig gemacht

Nach den Vorstellungen Hügels sollte der betroffene Richter dazu angehalten werden, seine Erledigungszahlen so zu steigern, dass diese sich dauerhaft im Bereich des durchschnittlich von den Berichterstattern beim OLG Karlsruhe erzielten Erledigungspensums halten. Dieses Ansinnen laufe damit auf eine Änderung der Rechtsanwendung durch den betroffenen Richter hinaus, sodass er bei Befolgung nicht mehr nur noch allein dem Gesetz unterworfen wäre, sondern seine konkreten Entscheidungsfindungen stattdessen maßgeblich auch von einer fiktiven Rechengröße abhängig wären, die sich aus der durchschnittlichen Erledigungszahl anderer Richter ergibt.

NRV fordert eigenverantwortete Qualität statt fremdbestimmter Quantität

Für diese Verletzung der richterlichen Unabhängigkeit gebe es jedoch im gesamten Recht keine Grundlage. Deshalb gehe auch der Ansatz des BGH ins Leere, die Unterinstanz habe nunmehr festzustellen, was sich von anderen Richtern in vergleichbarer Position sachgerecht erledigen lasse, betont Pfennig. Der BGH entlarve "diese unhaltbare Argumentation" gleich selbst, in dem er es zulassen wolle, dass der Dienstgerichtshof für die angeblich zu treffende Feststellung sogar auf die eigene Erfahrung zurückgreifen könne. Der Dienstgerichtshof dürfe jedoch nicht der damit ohne Not eröffneten Versuchung erliegen, seine Entscheidung der eigenen Beliebigkeit oder Willkür preiszugeben. Er habe vielmehr jetzt das nachzuholen, was der BGH unterlassen habe, nämlich festzustellen, dass die angefochtenen Maßnahmen die richterliche Unabhängigkeit verletzen, fordert die NRV. Alles andere würde die rechtsprechende Gewalt dem zahlenmäßigen Erledigungsdiktat der Exekutive ausliefern und im Ergebnis die für einen Rechtsstaat existentielle richterliche Unabhängigkeit bei der Entscheidungsfindung beseitigen, wenn dabei anstatt eigenverantworteter Qualität nur noch fremdbestimmte Quantität zählen solle.

Redaktion beck-aktuell, 21. Mai 2019.