LSG Niedersachsen-Bremen: Hartz IV trotz Auflösung eines Arbeitsverhältnisses für Pflege eines Angehörigen

Wer sich um die Pflege eines Angehörigen kümmert, kann auch dann einen Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen haben, wenn er trotz der Pflegetätigkeit eine Erwerbstätigkeit aufnimmt, sodann aber auf einen Aufhebungsvertrag mit dem Arbeitgeber hinwirkt, weil sich im Nachhinein herausstellt, dass sich die Arbeit doch nicht mit der Pflegetätigkeit vereinbaren lässt. Dies hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen im Fall einer 38-jährigen Frau entschieden, die trotz der Pflege ihrer Mutter zunächst eine Arbeit im Schichtdienst mit variablen Einsatzzeiten aufgenommen hatte. In seinem Urteil vom 12.12.2018 weist das Gericht allerdings darauf hin, dass immer die Umstände des Einzelfalls entscheidend seien (Az.: L 13 AS 162/17, BeckRS 2018, 33613).

Hartz IV nach Kündigung des Jobs zur Pflege der Mutter?

Die 38-jährige Frau, die gemeinsam mit ihrer schwerbehinderten und pflegebedürftigen Mutter in einem gemeinsamen Haushalt lebt, hatte eine Vollzeitstelle als Hallenaufsicht am Bremer Flughafen angenommen und wollte Stewardess werden. Zugleich kümmerte sie sich um die Pflege ihrer Mutter. Nachdem sich deren Gesundheitszustand durch einen Rippenbruch verschlechtert hatte, konnte sie Arbeit und Pflege nicht mehr vereinbaren und schloss mit ihrem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag. Vom Jobcenter bezog sie Grundsicherungsleistungen (Hartz IV).

Jobcenter forderte wegen sozialwidrigen Verhaltens Leistungen zurück

Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bewertete das Jobcenter als sozialwidriges Verhalten und nahm eine Rückforderung von zuletzt rund 7.100 Euro vor. Die Frau habe schon bei Abschluss des Arbeitsvertrags gewusst, dass sie im Schichtdienst arbeiten würde und dass ein Umzug nicht möglich sei. Die Mutter habe die Pflegestufe II und die Tochter müsse nicht selbst die Pflege übernehmen. Dies könne auch durch einen Pflegedienst geschehen. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei dafür nicht notwendig. Dieses Verhalten sei zumindest grob fahrlässig.

LSG widerspricht Jobcenter – Umstände des Einzelfalls entscheidend

Das LSG hat sich der Rechtsauffassung des Jobcenters nicht angeschlossen und ein sozialwidriges Verhalten verneint. Entscheidend seien die Umstände des Einzelfalls. Grundsätzlich sei zwar jede Arbeit zumutbar, wenn die Pflege von Angehörigen anderweitig sichergestellt werden könne. Selbst bei Pflegestufe II seien Arbeitszeiten von bis zu sechs Stunden pro Tag zumutbar. Dies sei im Fall der Klägerin jedoch nicht möglich. Sie habe im Schichtsystem auf Abruf mit variablen Zeiten gearbeitet. Die Einsatzzeiten seien erst vier Tage vor dem Einsatz mitgeteilt worden. Die dreimal täglich anfallende Pflege sei damit nicht zu vereinbaren. Das Gericht hat auch das Selbstbestimmungsrecht der Mutter berücksichtigt, die einen Pflegedienst ablehnte und nur ihre Tochter akzeptierte.

LSG: Austesten der Vereinbarkeit von Arbeit und Pflege muss folgenlos möglich sein

Dass die Klägerin dies alles vorher gewusst habe, ließ das Gericht nicht durchgehen. Es gelte ein objektiver Maßstab. Angesichts der Erwerbsobliegenheit dürfe ein Leistungsempfänger die Vereinbarkeit von Arbeit und Pflege austesten, ohne sich im Fall des Scheiterns einem Ersatzanspruch auszusetzen.

LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 12.12.2018 - L 13 AS 162/17

Redaktion beck-aktuell, 14. Januar 2019.