LSG Hessen: Rippenfelltumor eines Schlossers als Berufskrankheit anzuerkennen

Ein durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells ist als Berufskrankheit anzuerkennen. Dabei ist ein solches Mesotheliom bereits dann nachgewiesen, wenn es aufgrund des aktuellen Kenntnisstandes der medizinischen Wissenschaft als wahrscheinlich diagnostiziert worden ist. Dies hat das Landessozialgericht Hessen im Fall eines Schlossers und Elektrikers entschieden, der bereits an seiner Krebserkrankung gestorben ist (Urteil vom 21.02.2017, Az.: L 3 U 124/14, BeckRS 2017, 104612).

Berufsgenossenschaft verlangt Vollbeweis

Der Mann war von 1948 bis 1993 als Schlosser und später als Elektriker tätig. Bei diesen Tätigkeiten musste er Asbestplatten schneiden und häufig Lötarbeiten mit Asbestband durchführen. 2011 erkrankte der 77-jährige Mann an einem Tumor im Bereich des Brustkorbes. Aufgrund des histologischen Befundes wurden ein Mesotheliom sowie hiervon abweichende Erkrankungen diagnostiziert. Nach wenigen Monaten verstarb der Mann an der Krebserkrankung. Die Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 4105 mit der Begründung ab, dass ein Mesotheliom lediglich wahrscheinlich, nicht aber im Vollbeweis nachgewiesen sei. Da eine Obduktion nicht erfolgt sei, habe das Tumorbild nicht zweifelsfrei geklärt werden können. Die Witwe des Verstorbenen erhob Klage gegen die Berufsgenossenschaft.

LSG: Berufsgenossenschaft muss Pleuramesotheliom als Berufskrankheit anerkennen

Das LSG hat der Witwe Recht gegeben und die Berufsgenossenschaft zur Anerkennung einer Berufskrankheit verurteilt. Pleuramesotheliome seien zu circa 70 bis 80% asbestinduziert. Die Diagnose “Mesotheliom“ sei eine Ausschlussdiagnose, zu welcher neben der Histologie auch klinische Angaben zur Tumorerkrankung sowie Angaben zur Asbestexposition gehörten. Erfahrungsgemäß lägen zwischen der beruflichen Asbestexposition und der Entwicklung eines Pleuramesothelioms durchschnittlich mehr als 30 Jahre. Unter Umständen reiche eine nur geringfügig vermehrte Asbestbelastung aus, die nicht mit fibrosierenden Lungenveränderungen einhergehe.

Vollbeweis erfordert keine absolute Sicherheit

Aufgrund des variantenreichen histologischen Tumortyps könnten differenzialdiagnostische Schwierigkeiten in der Abgrenzung zu anderen Tumorerkrankungen bestehen. Vor diesem Hintergrund habe das Europäische Mesotheliompanel ein Wertungsschema entwickelt. Danach gelte die Diagnose “malignes Mesotheliom“ medizinisch als gesichert, sofern die Kategorie A (sicheres Mesotheliom) oder die Kategorie B (wahrscheinliches Mesotheliom) vorliege. Für die Anerkennung einer Berufskrankheit sei im Vollbeweis nachzuweisen, dass die entsprechende Erkrankung vorliege. Der juristische Vollbeweis erfordere jedoch keine absolute Sicherheit. Wenn die Diagnose eines Mesothelioms der Kategorie B medizinisch als gesichert gelte, sei auch der juristische Vollbeweis erbracht.

Vorliegend Nachweisanforderungen durch Beweisnotstand gemindert

Die Anforderungen an den juristischen Vollbeweis gingen bei den Feststellungen medizinischer Tatsachen grundsätzlich nicht über den aktuellen Kenntnistand der medizinischen Wissenschaft hinaus. Zudem habe die Berufsgenossenschaft die Angehörigen des Verstorbenen nicht auf die Bedeutung einer Obduktion hingewiesen. Der hierdurch eingetretene Beweisnotstand führe dazu, dass weniger hohe Anforderungen an den Nachweis eines Mesothelioms zu stellen seien.

LSG Hessen, Urteil vom 21.02.2017 - L 3 U 124/14

Redaktion beck-aktuell, 4. April 2017.