LG Münster: Erweiterte Schlüsselklausel in der Hausratversicherung ist wirksam

BGB § 307 I; StGB § 243 I Nr. 1

Die sogenannte Erweiterte Schlüsselklausel, nach der auch das Eindringen mit einem entwendeten, echten Schlüssel unter den Begriff «Einbruchsdiebstahl» fällt, ist nicht wegen eines Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Dies hat das Landgericht Münster in einem Urteil entschieden (bestätigt durch OLG Hamm, Beschluss vom 15.02.2017 – 20 U 174/16, BeckRS 2017, 119398). Es sei nicht zu beanstanden, wenn die Haftungserweiterung nur eingeschränkt dann zugesagt wird, wenn in Bezug auf den Verlust des Schlüssels keine Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers vorliegt. Eine Versicherungsnehmerin, die ihre Handtasche mit dem Hausschlüssel und Ausweispapieren unbeaufsichtigt im Fahrradkorb lässt, habe nicht bewiesen, dass sie den Diebstahl des Schlüssels nicht durch eigenes fahrlässiges Verhalten ermöglicht hat.

LG Münster, Urteil vom 08.09.2016 - 115 O 265/15, BeckRS 2016, 125524

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 19/2017 vom 21.09.2017

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Sachverhalt

Die Klägerin verlangt Versicherungsentschädigung für entwendete Gegenstände aus der bei der Beklagten unterhaltenen Hausratversicherung. Die dem Versicherungsvertrag beigefügten AHR enthalten in Ziff. 2.6.6. folgende Regelung zum Einbruchdiebstahl:

«Einbruchdiebstahl liegt vor, wenn der Dieb in einen Raum eines Gebäudes mittels richtigen Schlüssels eindringt, den er innerhalb oder außerhalb des Versicherungsortes durch Diebstahl an sich gebracht hatte, vorausgesetzt, dass weder Sie noch der Gewahrsamsinhaber den Diebstahl des Schlüssels durch fahrlässiges Verhalten ermöglicht hatte.»

Der streitgegenständliche Vorfall ereignete sich am 20.07.2013 um 4 Uhr morgens, als sich die Klägerin in Begleitung eines Bekannten auf dem Rückweg von einer Betriebsfeier befand. Sie stellten ihre Fahrräder an einer Säule ab und umarmten und küssten sich einige Meter von den Rädern entfernt. Währenddessen entwendeten unbekannte Täter aus dem Fahrradkorb des abgestellten Rades der Klägerin ihre Handtasche, in der sich unter anderem der Wohnungsschlüssel und ihr Personalausweis befanden.

Nach Eintreffen der Polizei rieten die Beamten der Klägerin, dass sie umgehend ihre Wohnung aufsuchen sollte. Die Klägerin übernachtete anschließend nicht in ihrer eigenen Wohnung, sondern in der etwa 30m entfernt liegenden Wohnung der Mutter, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob sie zuvor den Aufforderungen der Polizeibeamten nachgekommen ist oder nicht.

Als sich die Klägerin am nächsten Tag mit dem Zweitschlüssel in ihre Wohnung begab, bemerkte sie das Fehlen mehrerer Gegenstände. Spuren eines gewaltsamen Eindringens konnten nicht festgestellt werden.

Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin hälftigen Ersatz des Wertes der Handtasche nebst Inhalt sowie der angeblich aus der Wohnung entwendeten Gegenstände. Den Gesamtwert beziffert die Klägerin mit 17.500 EUR. Sie meint, ihr könne maximal eine leichte Nachlässigkeit angelastet werden. Sie habe sich auch entsprechend der polizeilichen Empfehlung unverzüglich zu ihrer Wohnung begeben. Sie habe angenommen, ihr 30jähriger Sohn befinde sich in der Wohnung, und habe deshalb geklingelt. Als niemand geöffnet habe, habe sie sich zu der Wohnung ihrer Mutter begeben und dort übernachtet, weshalb der Grad ihres Verschuldens mit 20%, maximal mit 50% zu bemessen sei.

Rechtliche Wertung

Das LG Münster wies die auf Zahlung von 8.750,00 EUR gerichtete Klage als unbegründet ab. Insbesondere liege kein Einbruchsdiebstahl im Sinn der AHR vor. Das Gericht stellte zunächst klar, dass die Regelung in Ziffer 2.6.6, wonach auch das Eindringen mit einem entwendeten, echten Schlüssel dem Begriff des «Einbruchsdiebstahls» unterfällt (sog. erweiterte Schlüsselklausel), nicht gemäß § 307 Absatz 1 BGB unwirksam ist. Denn es handele sich um eine Ergänzung des Versicherungsschutzes und eine Erweiterung des Haftungsrisikos der Beklagten, da ein Einbruchsdiebstahl nach dem allgemeinen Sprachgebrauch an sich nicht vorliege. Bezugnehmend auf einen Beschluss des OLG Hamm vom 21.07.2004 - 20 U 86/04, BeckRS 2004, 08001 erklärte das Gericht, dass insoweit die Einschränkung rechtmäßig sei, wonach der Diebstahl des Schlüssels nicht durch das fahrlässige Verhalten des berechtigten Besitzers ermöglicht worden sein dürfe, jedenfalls wenn es sich – wie hier – um den Versicherungsnehmer handelt.

Das Fehlen eines Fahrlässigkeitsvorwurfs hinsichtlich des Schlüsselverlustes stelle somit eine Anspruchsvoraussetzung dar, die vorliegend nicht gegeben sei, da die Klägerin das Fehlen der Fahrlässigkeit nicht bewiesen habe. Die Klägerin habe sich unstreitig zumindest einen Meter vom Fahrrad und ihrer Tasche entfernt, ohne diese zu beachten, und so den Zugriff für Dritte ermöglicht. Zu beachten sei ferner, dass die Entwendung aufgrund der zur Nachtzeit unbelebten Straße für Dritte quasi unentdeckt möglich war. Zudem sei durch das unbewachte Abstellen der Tasche im Fahrradkorb ein besonderer Anreiz geschaffen worden, da zumindest Bargeld zu erwarten gewesen sei. Dieser Anreiz sei durch die Aussicht der Erlangung eines Hausschlüssel und der dazugehörigen, aus Personalpapieren ersichtlichen Adresse zusätzlich erhöht worden. Insbesondere sei das Verhalten der Klägerin als pflichtwidrig einzuordnen, da sie die Gefahr der Entwendung von Schlüssel und Ausweis entweder gar nicht bedacht oder nicht richtig bewertet habe. Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt sei das Risiko unschwer zu erkennen gewesen, da ein Handtaschendiebstahl kein ungewöhnliches Geschehen darstelle.

Der Klägerin sei es insofern bereits nicht gelungen, den Tatbestand «Einbruchdiebstahl» zu beweisen. Daneben könne es dahinstehen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Klägerin noch fahrlässig gehandelt habe, indem sie ihre Wohnung nach Bemerken des Schlüsseldiebstahls nicht gegen das Eindringen Unbefugter gesichert hat.

Praxishinweis

Mit der Bestätigung der AGB-rechtlichen Wirksamkeit der sogenannten erweiterten Schlüsselklausel liegt das Urteil des LG Münster auf einer Linie mit der herrschenden Auffassung in der Rechtsprechung (s. etwa OLG Braunschweig, Urteil vom 13.02.2013 – 3 U 46/12, NJW-RR 2013, 1506; OLG Hamm, Beschluss vom 21.07.2004 - 20 U 86/04, VersR 2005, 220; OLG Koblenz, Urteil vom 28.06.2002 - 10 U 328/01, VersR 2002, 1146; OLG Köln, Urteil vom 21.08.2012 - 9 U 42/12, r+s 2013, 175).

Anderer Ansicht sind das OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.09.1996 - 12 U 128/96, r+s 1997, 164) und einige Stimmen in der Literatur (vgl. nur Knöpper in Terbille/Höra, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, 3. Aufl. 2013, B. § 8 Rn. 25; Spielmann, VersR 2004, 964; Melchers/Drenk, in: Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, B § 5 Rn. 198; Prölss/Martin/Armbrüster, VVG, 29. Aufl. 2015, AERB 2010, § 1 Rn. 28).

Im Hinblick auf den Fahrlässigkeitsvorwurf wird es in der Praxis – wie hier – oftmals um Fälle gehen, in denen eine Tasche samt Wohnungs-/Haustürschlüssel unbeaufsichtigt gelassen wird. Beispielsweise hatte im Fall des OLG Braunschweig (NJW-RR 2013, 1506) ein Krankenpfleger seine Tasche samt Schlüssel und Ausweispapieren während seines einstündigen Stationsrundgangs unbeaufsichtigt im Pausenraum liegen gelassen, obwohl er nach Auffassung des OLG das Diebstahlsrisiko leicht hätte vermeiden können, indem er die Tasche in einem Spind eingeschlossen oder zumindest seinen Wohnungsschlüssel am Körper getragen hätte.

Das LG Münster ist in zweiter Instanz – auch hinsichtlich der Beurteilung der Fahrlässigkeit des Verhaltens der Klägerin – durch das OLG Hamm bestätigt worden (OLG Hamm, Beschluss vom 15.02.2017 – 20 U 174/16, BeckRS 2017, 119398; vgl. Übersicht mit Beispielen für Fahrlässigkeit bei Prölss/Martin/Armbrüster, VVG, 29. Aufl. 2015, AERB 2010, § 1 Rn. 29 f).

Redaktion beck-aktuell, 10. Oktober 2017.