LG München II: Elf Jahre Haft im "Stromschlag-Prozess"

Es ist einer der spektakulärsten Fälle der vergangenen Jahre: Als falscher Arzt brachte ein Informatiker junge Frauen dazu, sich lebensgefährliche Stromschläge zuzufügen. Er brachte junge Frauen dazu, sich unter Strom stehende Löffel an die Schläfen zu halten. Oder mit Alufolie überzogene Sandalen anzuziehen und sich damit Stromschläge zu versetzen. Dafür verurteilte das Landgericht München II den weitgehend geständigen Angeklagten am 20.01.2020 wegen versuchten Mordes in 13 Fällen zu elf Jahren Haft.

Zitternde Opfer brachten Täter zur Erregung

Der Angeklagte brachte nach den Feststellungen des Gerichts auch andere Personen dazu, Mädchen zu fesseln - etwa mit Kabelbindern an eine Gartenliege - und ihnen Elektroschocks zuzufügen. Dazu gab er sich als Mediziner aus, sprach von wissenschaftlichen Studien und erteilte per Online-Chat Anweisungen. Es soll ihn erregt haben zu sehen, wie seine Opfer zitterten, Krämpfe und starke Schmerzen erlitten. Einige hatten Brandmarken an den Schläfen. Sie hätten sterben können.

Bedingter Tötungsvorsatz bejaht

Das Gericht nahm in keinem der Fälle direkten Tötungsvorsatz an - aber bedingten. Das Mordmerkmal: Befriedigung des Geschlechtstriebes. Verurteilt wurde der Angeklagte auch wegen Titelmissbrauchs und Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen. Er zeichnete die Video-Chats auf, um sie sich immer wieder ansehen zu können. Angeklagt war der 30 Jahre alte Informatiker aus Würzburg ursprünglich wegen versuchten Mordes in 88 Fällen. Das Gericht wertete allerdings nicht alle Fälle als versuchte Morde, sondern ging in einigen lediglich von Körperverletzung aus. Fälle, in denen die jungen Frauen nur so taten, als würden sie sich wirklich Strom durch den Körper jagen, flossen aus Gründen der "Verfahrensverschlankung" nicht in das Urteil ein.

Neben Haftstrafe Unterbringung in Psychiatrie

Mit den elf Jahren blieb die Kammer hinter der Forderung der Staatsanwaltschaft von 14 Jahren zurück - und übertraf die Forderung der Verteidigung nach einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren weit. Außerdem ordnete das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Laut einem Gutachter hat der Angeklagte das Asperger-Syndrom, gepaart mit einer "sexuellen Deviation“ - sprich einer Abweichung. In der Aussage des Angeklagten, die Taten seien nicht sexuell motiviert gewesen, sah das Gericht "ein Verdrängungsmoment" und eine "nahe liegende Beschönigung".

Austausch über Sado-Maso-Praktiken und Folter im Netz

Der Richter beschrieb, dass der junge Mann sich im Internet unter anderem über Sado-Maso-Praktiken und Folter austauschte, bevor seine jahrelange Tatserie startete. Von 2013 bis Anfang 2018 zog er seine Masche immer wieder durch. Sein jüngstes Opfer war laut Anklage erst 13 Jahre alt. Für die angeblichen wissenschaftlichen Studien bot er den Teilnehmerinnen, die er auf einer Kleinanzeigen-Plattform fand, weil sie dort einen Nebenjob suchten, mal 200, mal 450 Euro, sogar 1.500 oder 3.000 Euro. Das Gericht sprach von einer "Täuschungslegende“.

Risiko heruntergespielt

Dass er wegen seiner psychischen Verfassung - wie es die Verteidigung nahelegte - nicht genau wusste, wie gefährlich das war, was die jungen Frauen in seinem Auftrag taten, glaubte das Gericht nicht. Immer wieder habe er die Frauen, wenn sich bei ihnen während der Chatverläufe Angst und Zweifel meldeten, beschwichtigt und das Risiko heruntergespielt.

Opfer: "Peng im Kopf gemacht“

Besonders schwerwiegend bewertete die Kammer jene Fälle, in denen der junge Mann seine Opfer dazu brachte, sich metallene Gegenstände an beide Schläfen zu halten - "was bedeutet, dass das menschliche Gehirn im Stromweg liegt“, wie der Vorsitzende Richter sagte. Dabei hätten die Opfer heftige Schmerzen erlitten. "Es hat mir das Licht ausgeknipst“, zitierte der Richter eines der Opfer. Es habe sich angefühlt "wie ein Sternenhagel". Oder: "Es hat peng im Kopf gemacht.“

Redaktion beck-aktuell, Britta Schultejans, 21. Januar 2020 (dpa).