LG Hagen: Privathaftpflicht - Kein Ausschluss während des Aussteigens aus Pkw entstandenen Schadens durch «Benzinklausel»

AHB § 4 I Nr. 6a; BBR § 5.2.1.

Wenn dem Führer eines Pkw beim Aussteigen aus dem Fahrzeug eine Bauschaumflasche aus der Hand fällt und der nach dem Auftreffen auf dem Boden explosionsartig freigesetzte Bauschaum das zuvor geführte Fahrzeug beschädigt, fällt der so entstandene Schaden nach einem Urteil des Landgerichts Hagen nicht in den Anwendungsbereich der sogenannten «Benzinklausel» eines Haftpflichtversicherungsvertrags. Denn bei der Schadensentstehung habe sich gerade nicht das Gebrauchsrisiko des zuvor geführten Fahrzeugs realisiert. Darüber hinaus hat das Gericht entschieden, dass es sich bei einem auch zum privaten Gebrauch überlassenen Firmenfahrzeug nicht um eine Sache handelt, die im Sinne von § 7 Ziff. 6 AHB gemietet, geleast, gepachtet, geliehen oder die Gegenstand eines besonderen Verwahrungsvertrages ist.

LG Hagen, Urteil vom 31.01.2017 - 9 O 293/15, BeckRS 2017, 102369

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Dirk-Carsten Günther
BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB, Köln

Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 5/2017 vom 09.03.2017

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Sachverhalt

Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einer im Jahr 2004 abgeschlossenen Privathaftpflichtversicherung geltend. In § 4 Abs. 1 Nr. 6 lit. a der dem Vertrag zugrunde liegenden AHB ist folgendes geregelt: «Falls im Versicherungsschein oder seinen Nachträgen nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, bezieht sich der Versicherungsschutz nicht auf Haftpflichtansprüche wegen Schäden an fremden Sachen und allen sich daraus ergebenden Vermögensschäden, wenn der Versicherungsnehmer diese Sachen gemietet, geliehen oder durch verbotene Eigenmacht erlangt hat oder sie Gegenstand eines besonderen Verwahrungsverhältnisses sind.»

Unter Ziffer 5.2.1 der ebenfalls in den Vertrag einbezogenen Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen (BRR) heißt es ferner: «Nicht versichert ist die Haftpflicht wegen Schäden, die der Versicherungsnehmer, ein Mitversicherter oder eine von ihnen bestellte oder beauftragte Person durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeuges oder Fahrzeuganhängers verursachen.»

Am 24.07.2015 fuhr der Kläger mit einem von seiner Arbeitgeberin überlassenen Firmenwagen, den er auch zu privaten Zwecken nutzen darf, zum Vereinsheim des Tennisclubs, in dem er Mitglied ist. Beim Aussteigen aus dem Fahrzeug glitt dem Kläger eine Bauschaumflasche aus der Hand, die auf dem geteerten Platz unmittelbar neben dem Fahrzeug explodierte. Hierdurch wurden unter anderem Teile des Innenraums des Pkw mit dem Schaum verunreinigt und die Motorhaube und das Dach mit dem Schaum benebelt. Die Arbeitgeberin verlangte den entstandenen Schaden vom Kläger in Höhe eines Betrages von 6.183,02 EUR ersetzt. Der Kläger meldete den Schaden daraufhin der Beklagten, die ihre Einstandspflicht unter dem 10.08.2015 zurückwies.

Ob für das Fahrzeug eine Vollkaskoversicherung besteht, ist streitig. Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten sowie die Verurteilung zur Freistellung von seinen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Rechtliche Wertung

Das LG Hagen gab der Klage statt. Die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Versicherungsfalls seien erfüllt, unter adnerem sei der Kläger als Privatperson betroffen. Dass sich der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit zum Vereinsheim begab, sei nicht ersichtlich.

Es greife auch kein vertraglicher Ausschlussgrund. Zunächst scheide die Anwendung des § 4 Abs. 1 Nr. 6 lit. a) AHB aus. Die Überlassung eines Firmenwagens auch zur privaten Nutzung erfolge zunächst nicht auf Basis eines Mietvertrags, sondern des Dienstvertrages, da sie Teil der Arbeitsvergütung sei. Entsprechendes gelte für die Pacht: Die Überlassung zu Gebrauch und Fruchtziehung (§ 581 BGB) sei nicht Kerngehalt des Dienstvertrages. Eine Leihe (§ 598 BGB) komme ebenfalls nicht in Betracht. Auch begründe die den Kläger treffende Nebenpflicht hinsichtlich des sorgfältigen Umgangs mit dem Pkw (§ 241 Abs. 2 BGB) keinen «besonderen» Verwahrungsvertrag. Der Schaden sei ferner nicht im Rahmen einer «gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit» im Sinn des § 4 Abs. 1 Nr. 6. lit. b) entstanden.

Auch der Ausschluss nach § 5.2.1 BBR, der sogenannten kleinen Benzinklausel, greife nicht. Nach früherer Rechtsprechung des BGH trat ein Schaden dann «durch den Gebrauch» des Kfz ein, wenn es für die schadensstiftende Verrichtung aktuell, unmittelbar, zeitlich und örtlich nahe eingesetzt gewesen ist. Nach der jüngeren Rechtsprechung komme es nicht darauf an, ob die Gefahr von der Art des Fahrzeuggebrauchs oder aber beim Gebrauch vom Fahrzeug selbst ausgeht. Entscheidend sei vielmehr, dass sich ein Gebrauchsrisiko gerade des Kfz verwirklicht und zu einem Schaden geführt habe (BGH, Urteil vom 13.12.2006 - IV ZR 120/05, BeckRS 2007, 01681, mit Anmerkung Grams in FD-VersR 2007, 213169).

Vorliegend habe sich nicht das Gebrauchsrisiko des Kfz, sondern alleine das allgemeine Lebensrisiko einer gewissen Ungeschicklichkeit des Versicherungsnehmers realisiert. Soweit die Beklagte auf einen unmittelbaren Zusammenhang mit der Fahrzeugnutzung mit Blick auf den Aussteigevorgang abstelle, verkenne sie die Abkehr der Rechtsprechung von diesem Merkmal. Andere von der Beklagten zitierte Entscheidungen seien auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.

Es sei schließlich keine Anspruchskürzung aufgrund des zugunsten des Klägers bestehenden Arbeitnehmerhaftungsprivilegs vorzunehmen, da die Fahrt zum Vereinsheim keine betrieblich veranlasste Tätigkeit darstelle. Auf die Frage einer bestehenden Vollkaskoversicherung komme es daher überhaupt nicht an.

Praxishinweis

Die sogenannte kleine Benzinklausel, die der Abgrenzung zwischen den Deckungsbereichen der Privat- und Kfz-Haftpflichtversicherung dient, und mit ihr verbundene Auslegungs- und Abgrenzungsfragen sind immer wieder Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen (vgl. Überblick bei Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider, Versicherungsrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2015, § 24 Rn. 102a ff.; Stockmeier, VersR 2013, 823).

2.  Im sogenannten «Heizlüfterurteil» vom 13.12.2006 (Az.: IV ZR 120/05, NJW-RR 2007, 464) hat der BGH in Abänderung seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass bei der Auslegung des Merkmals «Schäden, die durch den Gebrauch des Kfz verursacht werden» nicht auf den weiten Begriff der Kfz-Haftpflichtversicherung zurückgegriffen werden darf. Im dem Urteil zugrunde liegenden Fall (ein abgestellter Pkw gerät durch einen zum Vorwärmen benutzten Heizlüfter in Brand) habe sich nicht das typische Kfz-Risiko, sondern das dem Heizlüfter anhaftende Risiko verwirklicht. Abgelehnt wurde ein Eingreifen der Benzinklausel auch im Fall eines aus einem Fahrzeug entflohenen Hundes, der in der Folge einen Schaden anrichtete. Hier habe sich nicht das Kfz-Risiko, sondern eine typische Tiergefahr verwirklicht (OLG Karlsruhe, Urteil vom 07.12.2006 - 12 U 133/06, BeckRS 2006, 15146, mit Anmerkung Grams in FD-VersR 2007, 209994; bestätigt durch BGH, Beschluss vom 25.6.2008 – IV ZR 7/07, BeckRS 2008, 13180). Im Rahmen der gebotenen engen Auslegung der Ausschlussklausel wird vertreten, dass der Versicherungsnehmer danach differenzieren werde, ob das Schwergewicht der Schadenverursachung vom Kfz ausgeht oder ob es seinen Ursprung überwiegend in einer sonstigen (privaten) Tätigkeit oder Eigenschaft hat (Schimikowski in: Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 3. Aufl. 2015, AVB PHV Rn. 7).

3.  Im Hinblick auf den weiteren in der Entscheidung des LG Hagen angesprochenen Ausschlussgrund nach § 4 Abs. 1 Nr. 6 lit. a) AHB a. F. hat der BGH in Bezug auf ein vom Arbeitgeber überlassenes Fahrzeug – indes ohne private Nutzung – ein Eingreifen der Klausel ebenfalls abgelehnt (BGH, s. Heizlüfterurteil). Die sogenannte Besitzklausel ist heute in Ziff. 7.6 AHB geregelt (vgl. Prölss/Martin/Lücke, VVG, 29. Aufl. 2015, AHB § 7 Rn. 37).

Redaktion beck-aktuell, 24. März 2017.