LG Chemnitz: Neuneinhalb Jahre Haft nach tödlichem Messerangriff in Chemnitz

Knapp ein Jahr nach dem tödlichen Messerangriff auf einen Deutschen in Chemnitz ist ein 24 Jahre alter Angeklagter zu neun Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden. Das Landgericht Chemnitz sprach den Syrer am 22.08.2019 in Dresden wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung schuldig (Az.: 1 Ks 210 Js 27835/18).

Mutmaßlicher Mittäter weltweit zur Fahndung ausgeschrieben

Nach 19 Verhandlungstagen war die Kammer davon überzeugt, dass Alaa S. am 26.08.2018 in Chemnitz gemeinsam mit einem flüchtigen Iraker den 35-jährigen Daniel H. erstochen hat. Der mutmaßliche Mittäter ist weltweit zur Fahndung ausgeschrieben.

Unschuldsbeteuerung in Interview ohne Einfluss auf Urteilsfindung

Der nun verurteilte Syrer hatte in der gesamten Verhandlung zu den Vorwürfen gegen ihn geschwiegen. In einem am 20.08.2019 ausgestrahlten Telefoninterview des ZDF-Magazins "Frontal21" hatte er zwar seine Unschuld beteuert – diese Aussagen hatten nach Gerichtsangaben aber keinen Einfluss auf die Urteilsfindung. Dafür seien laut Strafprozessordnung allein die im Laufe der Verhandlung durch die Kammer gewonnenen Erkenntnisse entscheidend, hatte es geheißen.

Angeklagter forderte faires Urteil

In seinem letzten Wort vor Gericht sprach sich der Angeklagte am 22.08.2019 für ein faires Urteil aus. "Ich kann nur hoffen, dass hier die Wahrheit ans Licht gebracht wird und ein gerechtes Urteil gesprochen wird", ließ der Syrer durch einen Dolmetscher übersetzen.

Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert

Die Verteidigung hatte kurz vor dem Urteil auf Freispruch plädiert. Verteidiger Frank Wilhelm Drücke rückte in seinem Plädoyer die Geschehnisse nach der Tat in den Blickpunkt. "Für uns ist das mitnichten ein normales Verfahren", sagte er in einem Gebäude des Oberlandesgerichtes Dresden, wo der Prozess aus Sicherheitsgründen stattfand. Er appellierte an die Kammer des LG, sich bei der Urteilsfindung nicht von Forderungen aus Politik, Gesellschaft oder von einem "marodierenden Mob" beeinflussen zu lassen.

Staatsanwaltschaft hatte Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren gefordert

Die Staatsanwaltschaft hatte am 19.08.2019 in ihrem Plädoyer eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren für den Angeklagten wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung gefordert. Die drei Vertreter der Nebenklage gingen am 22.08.2019 in ihren Plädoyers über diesen Antrag hinaus und forderten eine Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren.

Rassistisch motivierte Übergriffe nach Messerattacke

In der Folge der Messerattacke war es im vergangenen Jahr in der Stadt zu rassistisch motivierten Übergriffen gekommen, die mehr als das Verbrechen selbst auch auf internationaler Ebene ein Schlaglicht auf Chemnitz warfen. Bilder von rechten Demonstrationen, Aufmärschen von Neonazis und Fußball-Hooligans, von Übergriffen sowie dem Zeigen des Hitlergrußes in zahlreichen Fällen gingen um die Welt.

Streit um "Hetzjagden"

Der Streit um die Frage, ob es "Hetzjagden" gegeben habe, wurde auf Bundesebene zur Zerreißprobe für die große Koalition aus Union und SPD – und führte letztlich dazu, dass der damalige Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, seinen Posten verlor. Im November 2018 versetzte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Maaßen dann in den einstweiligen Ruhestand, nachdem dieser laut einem Redemanuskript von teils "linksradikalen Kräften in der SPD" gesprochen hatte.

Redaktion beck-aktuell, 22. August 2019 (dpa).