Kündigungsschutzklage: Nachträgliche Klagezulassung kann auch noch nach einem Jahr möglich sein

Die Höchstfrist von sechs Monaten für eine nachträgliche Klagezulassung bei Kündigungsschutzklagen ist nicht maßgeblich, wenn der Grund für die Fristversäumung aus der Sphäre des Gerichts stammt. Dies hat das Bundesarbeitsgericht am 30.07.2020 entschieden. Im zugrundeliegenden Fall war die Klage wegen einer fehlerhaften elektronischen Signatur formunwirksam. Hierauf hätte das Gericht der ersten Instanz hinweisen müssen, so das BAG.

Fehler des Arbeitsgerichts Berlin

In dem zugrundeliegenden Sachverhalt war einer Callcenteragentin im März 2018 wegen dreißig E-Mails angeblich verleumderischen und beleidigenden Inhalts an Kollegen und Vorgesetzte gekündigt worden. Ihr Anwalt reichte daraufhin kurzfristig Kündigungsschutzklage ein. Er übermittelte sie an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach des Arbeitsgerichts Berlin. Dabei verwendete er eine sogenannte Container-Signatur, die sich potentiell auf mehrere Schriftstücke bezieht. Seit Januar 2018 muss allerdings jedes Schriftstück einzeln signiert werden. Daher war die Klage formunwirksam. Erst das Landesarbeitsgericht Berlin in der zweiten Instanz bemerkte den Fehler und wies Anfang August 2019 darauf hin. Innerhalb von zwei Wochen beantragte die gekündigte Mitarbeiterin die nachträgliche Klagezulassung. Die Berufungsrichter ließen die Klage zu und gaben ihr auch ansonsten recht. Die von ihr verschickten E-Mails seien weder verleumderisch oder beleidigend gewesen und gefährdeten auch nicht den Betriebsfrieden.

Ausnahme zur Höchstfrist

Die Entscheidung aus Berlin hatte auch vor dem Bundesarbeitsgericht Bestand. Zwar sei die absolute Höchstfrist von sechs Monaten (§ 5 Abs. 3 S. 2 Kündigungsschutzgesetz) für die nachträgliche Klagezulassung bereits um ein knappes Jahr abgelaufen, aber ausnahmsweise gelte sie hier nicht. Aus Sicht der Erfurter Richter ist dies dann gerechtfertigt, wenn ein Fehler aus der Sphäre des Gerichts zur Fristversäumung führe. Eine Hinweispflicht des Gerichts folge hier aus dem Anspruch der Klägerin auf ein faires Verfahren. Der  2. Senat bediente sich unter anderem eines Vergleichs zu einem ähnlichen Sachverhalt in der analogen Welt: So findet die Vorschrift zur Höchstfrist einer nachträglichen Klagezulassung auch dann keine Anwendung, wenn erst nach einem Jahr bemerkt wird, dass die Revisionsbegründung nicht unterschrieben war. Gleiches gelte für eine fehlerhafte elektronische Signatur. Ein Kläger könne erwarten, dass offenkundige Formfehler in angemessener Zeit erkannt werden. Entsprechend hätte das Arbeitsgericht Berlin die Arbeitnehmerin auf die Unwirksamkeit ihrer Klage aufmerksam machen müssen.

Verschulden des Anwalts ändert daran nichts

Zwar habe auch der Anwalt der Gekündigten die formalen Anforderungen an Klagezuschriften kennen müssen. Dies gelte selbst dann, wenn Vorschriften recht neu in Kraft und "in der Praxis weitgehend unbeachtet" geblieben seien - immerhin sei in der Fachliteratur über die Änderung informiert worden. Das Verschulden ihres Anwalts werde ihr zugerechnet. Das Bundesarbeitsgericht stellte aber fest, dass eine Mitursächlichkeit des Gerichts für das Fristversäumnis genüge. Das Verschulden ändere daher nichts an der Ausnahme von der Höchstfrist. 

Vertrauen des Gegners darf nicht schutzwürdig sein

Zusätzlich zu einem Fehler des Gerichts dürfe der Gegner nicht auf die Unwirksamkeit der Klage vertraut haben. Das aber ist nach den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts schon dann nicht der Fall, wenn das erstinstanzliche Gericht die Klage als wirksame Kündigungsschutzklage behandelt habe. Für ein schutzwürdiges Vertrauen reiche es demnach nicht aus, dass das formunwirksame Urteil dem Gegner zugestellt wurde.

BAG, Urteil vom 30.07.2020 - 2 AZR 43/20

Redaktion beck-aktuell, 28. September 2020.