Kann "Containern Diebstahl sein? - Studentinnen ziehen vor das BVerfG

Zwei Studentinnen "containern" in einer Juni-Nacht 2018. Das bedeutet, sie fischen im Müll nach aussortierten Lebensmitteln, die man noch essen kann. Dafür werden sie wegen eines besonders schweren Falls des Diebstahls angeklagt und verurteilt. Am 08.11.2019 haben Caro (28) und Franzi (26), die ihren Fall inzwischen publik machten, Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht.

Studentinnen fischten Lebensmittel aus Müllcontainer

Ihre Aktion vom 04.06.2018 hat für die beiden Frauen ein unschönes Nachspiel. Nach einem Strafantrag des Supermarkts ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen besonders schweren Falls des Diebstahls. Zur beantragten Geldstrafe von jeweils 1.200 Euro kam es zwar nicht. Das Amtsgericht Fürstenfeldbruck hielt den Frauen im Januar 2019 zugute, “dass die entwendete Ware für den Eigentümer wertlos war“. Aber die beiden werden schuldig gesprochen, verwarnt und müssen je acht Stunden Sozialarbeit bei der örtlichen Tafel ableisten. Lassen sie sich noch einmal beim Containern erwischen, droht eine Strafe von 225 Euro.

OLG Bestätigt Urteil gegen Studentinnen

Anfang Oktober wurde dieses Urteil vom Bayerischen Obersten Landesgericht bestätigt. “Der Umstand, dass die Lebensmittel zur Entsorgung in einen Abfallcontainer geworfen wurden, sagt darüber, ob dem Eigentümer damit auch deren weiteres Schicksal gleichgültig ist, nicht zwingend etwas aus“, heißt es in dem Beschluss. Der Container habe auf Firmengelände gestanden und sei verschlossen gewesen. Außerdem bezahle der Supermarkt eine Firma für die Entsorgung.

Blog und Petition informieren über "Containern"

Für Caro und Franzi eine herbe Enttäuschung. “Wir haben niemandem Schaden zugefügt“, sagen sie. “Wenn wir Lebensmittel in der Mülltonne sehen, die eigentlich noch genießbar sind, finden wir das sehr schade und eine enorme Ressourcenverschwendung.“ Die Supermarkt-Leitung habe doch gar kein Interesse mehr an den Waren. “Die werden ganz offensichtlich nicht mehr verkauft, die vergammeln in der Tonne.“ Im Internet haben die Studentinnen ihren Fall öffentlich gemacht und informieren in einem Blog über die neuesten Entwicklungen. Von der Unterstützung ermutigt, haben sie auch eine Petition gestartet: Supermärkte sollen wie in Frankreich verpflichtet werden, noch genießbare Lebensmittel zu verteilen, zum Beispiel an soziale Einrichtungen. Inzwischen haben 150.000 Menschen unterschrieben.

Versuch der Legalisierung scheiterte

In Deutschland landen nach Berechnungen der Universität Stuttgart jährlich fast 13 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Die Umweltorganisation WWF geht sogar von mehr als 18 Millionen Tonnen aus. Ein Vorstoß von Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne), das Containern zu legalisieren, scheiterte im Juni auf der Justizministerkonferenz in Lübeck am Widerstand der CDU-Länder. “Solange es keine klaren Gesetze gibt, müssen wir es über die Auslegung des Rechts versuchen“, sagt Franzis Verteidiger Max Malkus. Die Verfassungsbeschwerde soll mehr Menschen auf das Problem aufmerksam machen. Mittlerweile bekommen Caro und Franzi Unterstützung von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die es sich zum Ziel gesetzt hat, Grund- und Menschenrechte vor Gericht einzuklagen.

Gesellschaft für Freiheitsrechte verweist auf fehlende Sozialschädlichkeit

Für die Nichtregierungsorganisation hat das Verfahren grundsätzliche Bedeutung. “Es geht um die Frage, wo die verfassungsrechtliche Grenze des Strafrechts ist“, sagt GFF-Juristin Sarah Lincoln. Karlsruhe habe mehrfach klargemacht, dass das Strafrecht nur das letzte Mittel sein kann. Nach diesen Entscheidungen ist es auf Verhalten zu beschränken, das “über das Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben unerträglich“ ist. "Hier wird das Strafrecht eingesetzt, um etwas zu schützen, an dem niemand mehr ein Interesse hat", meint Lincoln. "Besonders sozialschädlich ist ja das Wegwerfen der Lebensmittel, nicht die Verwertung." Auch Malkus findet das widersprüchlich: “Faktisch kriminalisieren wir diejenigen, die im Kleinen etwas für den Klimaschutz tun, ohne dass jemandem geschadet wird.“

Redaktion beck-aktuell, Anja Semmelroch, 11. November 2019 (dpa).