Korruptions-Protokolle belasten Österreichs Ex-Kanzler Kurz und ÖVP

Österreichs ehemaliger Kanzler Sebastian Kurz und die konservative Regierungspartei ÖVP sind nach umfangreichen belastenden Aussagen eines Insiders mit immer konkreteren Korruptionsvorwürfen konfrontiert. «Es braucht nun volle Aufklärung, die von den Ermittlungsbehörden zu leisten ist», sagte der amtierende Regierungschef Karl Nehammer am Mittwoch in einer knappen Stellungnahme. Er bezog sich auf ein rund 450-seitiges Protokoll der Korruptionsstaatsanwaltschaft, das am Vortag publik wurde. 

Ehemaliger ÖBAG-Chef belastet Kurz schwer

In dem Protokoll wurde Kurz von seinem ehemaligen engen Mitstreiter und ehemaligen Chef der Staatsholding ÖBAG Thomas Schmid als Auftraggeber für steuerfinanzierte und manipulierte Meinungsumfragen bezeichnet. Laut einer Politikerin der mitregierenden Grünen belasten die Vorwürfe die Koalition. Noch vorige Woche hatte sich der 36-jährige ehemalige Politik-Star Kurz in positiverem PR-Licht gesonnt, als er anlässlich der Veröffentlichung eines Buches über seine bisherige Karriere zahlreiche Interviews absolvierte. Die Korruptionsermittlungen, die voriges Jahr zu seinem Rücktritt geführt hatten, kamen in dem Buch nicht vor und wurden von Kurz etwa im Gespräch mit dem Sender ORF so beiseitegewischt: "Ich kann Ihnen nur sagen, dass all diese Vorwürfe inzwischen für mich mittlerweile keine allzu große Relevanz mehr haben". Wenige Tage später ist die Affäre um fragwürdige Umfragen und Inserate wieder das zentrale Thema der österreichischen Politik.

Anzeigen im Gegenzug für manipulierte Umfragen

Laut Schmid war Kurz maßgeblich daran beteiligt, dass das Finanzministerium Anzeigen in einer Zeitung schaltete, die im Gegenzug manipulierte Umfragen veröffentlichte. Von dem Ministerium seien teils auch Umfragen verdeckt bezahlt worden. Damit soll sich Kurz noch in seiner Zeit als Außenminister 2017 den Weg an die Parteispitze und ins Kanzleramt geebnet haben. Diese als "Tool" (Werkzeug) bezeichnete Konstruktion wurde laut Staatsanwaltschaft entwickelt, um Kurz 2017 den Weg an die ÖVP-Parteispitze und in das Kanzleramt zu ebnen. "Mir ist ganz wichtig, zu betonen, dass ich dieses Tool nur deswegen umgesetzt habe, weil ich von Kurz den Auftrag bekommen habe", sagte Schmid laut Protokoll-Auszügen, die vom öffentlich-rechtlichen Sender ORF und vom Chefredakteur der Wochenzeitung "Falter" veröffentlicht wurden. 

Auch Unternehmen beteiligt

Schmid, der früher im Finanzministerium arbeitete und später die Staatsholding ÖBAG managte, belastete auch andere ÖVP-Politiker und einen Unternehmer, unter anderem wegen angeblichen Interventionen in Steuerangelegenheiten. Die Ermittlungen der Korruptionsjäger waren von einem verdeckt auf Ibiza gedrehten Videos ausgelöst worden. Darin erweckte der damalige rechte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache den Eindruck von Käuflichkeit. Die Veröffentlichung des Videos führte 2019 zum Bruch der Koalition zwischen der konservativen Kanzlerpartei ÖVP und der FPÖ. Schmids Aussagen führten laut Staatsanwaltschaft außerdem am Dienstag zu Hausdurchsuchungen bei zwei Unternehmen wegen des Verdachts der Bestechung, der Bestechlichkeit und des Amtsmissbrauchs. Ein großes Immobilienunternehmen, das laut Medienberichten ebenfalls durchsucht wurde, antwortete nicht auf eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur.

Kurz weist Vorwürfe zurück

Kurz wehrte sich am Mittwoch auf Facebook gegen die Vorwürfe. Schmid habe gegenüber der Staatsanwaltschaft zugegeben, mehrfach gelogen zu haben. "Am Ende wird sich herausstellen, dass das auch in diesem Fall zutrifft", so Kurz. Dennoch rechnet er offenbar mit einer Anklage: Er freue sich darauf, die Anschuldigungen vor Gericht zu entkräften, schrieb der Ex-Kanzler, der heute als Unternehmer und als strategischer Berater für den milliardenschweren US-Investor und Donald Trump-Unterstützer Peter Thiel arbeitet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Kurz nicht nur wegen der Umfrage-Affäre, sondern auch wegen möglicher Falschaussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der ebenfalls mutmaßliche Korruption innerhalb der ÖVP im Visier hat.

Grüne wollen Koalition mit ÖVP nicht verlassen

Laut der Parlamentarierin Nina Tomaselli, die die Grünen in dem Ausschuss vertritt, haben sich bereits bekannte Vorwürfe durch Schmids Informationen nun "zu ganz harten Beweisen" verdichtet. "Selbstverständlich ist die Koalition belastet durch das Tun der ÖVP und die Personen, die dort vor allem in der Vergangenheit agiert haben", sagte sie am Mittwoch. Ein Ende der Koalition stellten jedoch weder sie noch andere prominente Grünen-Politiker in den Raum. Nun sei die Justiz am Zug, hieß es. Allerdings sprach sich Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler angesichts der Schmid-Protokolle für eine Verlängerung des U-Ausschusses aus.

Redaktion beck-aktuell, 19. Oktober 2022 (dpa).