Hessen: Bestechlichkeitsvorwürfe gegen Justizbeamten weiten sich aus

Die Bestechlichkeitsvorwürfe gegen einen hochrangigen hessischen Justizbeamten ziehen inzwischen Kreise. Nach Angaben der Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft, Nadja Niesen, "wird aktuell gegen fünf Beschuldigte ermittelt". Außerdem sagte sie am 06.08.2020, "dass nicht nur ein Unternehmen involviert ist". Zuvor hatte die "Süddeutsche Zeitung" berichtet.

Oberstaatsanwalt soll Unternehmen Gutachten-Aufträgen verschafft haben

Wegen des Verdachts der Bestechlichkeit sitzt der Beamte, der einer der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft ist, in Untersuchungshaft. Der 53-Jährige soll nach Angaben der Staatsanwaltschaft Frankfurt Unternehmen zu Gutachten-Aufträgen verholfen haben. Auch der 54 Jahre alte Leiter eines der Unternehmen befindet sich in Untersuchungshaft.

Rechtsausschuss befasst sich mit Fall

Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) sprach in Wiesbaden von einem "beispiellosen Fall", bei dem der beschuldigte Oberstaatsanwalt "die Seiten gewechselt habe". Nach dem Ermittlungsstand habe er das Schmiergeld erhalten, indem er mit der Bankkarte eines Dritten Geld abgehoben habe. Am 06.08.2020 befasste sich auch der Rechtsausschuss im Hessischen Landtag mit dem Fall. Als Reaktion auf den Korruptionsverdacht gilt künftig bei allen Staatsanwaltschaften des Landes bei der Vergabe von Gutachten das Vier-Augen-Prinzip. Dies sei bislang nicht einheitlich geregelt gewesen. Bei der Generalstaatsanwaltschaft, wo der Beschuldigte arbeitete, habe es kein Vier-Augen-Prinzip gegeben.

Justizministerin ergreift Sofortmaßnahmen

In Abstimmung mit der Generalstaatsanwaltschaft leitete Kühne-Hörmann außerdem die folgenden Maßnahmen zur Bekämpfung und Prävention von Korruption ein: Die Zahlungen an das betreffende Unternehmen wurden eingestellt. Bestehende Aufträge wurden storniert. Die Gerichte und Staatsanwaltschaften und die Justizverwaltungen der anderen Länder wurden über die Vorgänge in Kenntnis gesetzt. Außerdem werde die Innenrevision im Geschäftsbereich des Hessischen Ministeriums der Justiz neu ausgerichtet. Sie soll durch die Gründung einer Stabsstelle Innenrevision bei dem Hessischen Ministerium der Justiz stärker zentralisiert werden. Aufgabenschwerpunkt der Stabsstelle soll insbesondere die Schnittstelle zwischen Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung einerseits sowie der Innenrevision anderseits sein. Die Aufgaben und Prüfungskataloge der Innenrevision werden künftig noch stärker auf die Korruptionsbekämpfung und Korruptionsprävention ausgerichtet. 

Strukturen und Verantwortlichkeiten werden neu ausgerichtet

Zudem wurde im Rahmen der Durchführung der Korruptionsrichtlinien in der hessischen Justiz die für Korruptionsprävention zuständige Stelle beauftragt, die Geschäftsverteilung und die Behördenstruktur zu prüfen und dabei korruptionsgefährdete Bereiche zu identifizieren. Die Zentralstelle für Medizinwirtschaftsstrafrecht werde auf Vorschlag der Generalstaatsanwaltschaft sobald wie möglich geschlossen. Die ersten Maßnahmen seien bereits getroffen worden, so die Justizministerin. Es werde sichergestellt, dass die laufenden Ermittlungsverfahren in der Abwicklungsphase weitergeführt werden. Eine Arbeitsgruppe aus Fachleuten werde einen Vorschlag erarbeiten, wie die komplexen medizinstrafrechtlichen Verfahren in Hessen künftig geführt werden.

Frühere Lebensgefährtin erstattete Anzeige

Laut Kühne-Hörmann laufen die Ermittlungen unter dem Vorwurf der gewerbsmäßigen Bestechlichkeit beziehungsweise gewerbsmäßigen Bestechung. Die zweite involvierte Firma sei auf die Auswertung von Daten spezialisiert. Der beschuldigte Beamte soll von ihr 66.000 Euro in bar kassiert haben. Von der anderen Firma soll er zwischen 2015 und 2020 über 240.000 Euro erhalten haben. Nach Aussage des ermittelnden Staatsanwalts stammt die Anzeige, die die Ermittlungen im August 2019 auslöste, von der früheren Lebensgefährtin des Juristen.

Transparency Deutschland: Autorität der Justiz in Frage gestellt

Die Organisation Transparency Deutschland nannte den Fall einen "herben Rückschlag für den Kampf gegen Korruption". Wegen der herausgehobenen Rolle, die der verhaftete Oberstaatsanwalt in der Verfolgung und Prävention von Korruption gespielt habe, sei die Autorität der Justiz bei solchen Taten in Frage gestellt, erklärte der Vorsitzende Hartmut Bäumer. "Wenn Korruption selbst innerhalb der Generalstaatsanwaltschaft nicht eher entdeckt wird – was taugen dann deren Vorschläge zur Prävention?"

Redaktion beck-aktuell, 6. August 2020 (ergänzt durch Material der dpa).