Griechische Provinz will bislang geltende Scharia-Regelungen weiter einschränken

Für Historiker ist es eine interessante Geschichte, für Juristen ein brisanter Fall: In der Provinz West-Thrakien im Nordwesten des EU-Lands Griechenland hält sich seit etwa 100 Jahren ein Überbleibsel der jahrhundertelangen Osmanischen Herrschaft, das islamische Heilige Recht, die Scharia. Sie gilt noch im Familien- und Erbrecht der dort lebenden muslimischen Minderheit. Hohe Geistliche können entscheiden, wer das Sorgerecht nach einer Scheidung erhält und wer nach einem Todesfall erbt. Die Heirat, die ein Mufti absegnet, wird anerkannt, auch wenn es sich um Minderjährige handelt. Die Entscheidungen der Muftis führen allerdings immer wieder zu Komplikationen und Missverständnissen in anderen EU-Staaten. Nun will Athen dies korrigieren.

Scharia als Relikt geschichtlicher Entwicklung

In West-Thrakien leben nach Schätzungen gut 100.000 Griechen muslimischen Glaubens. In ihrer Mehrheit verstehen sie sich als ethnische Türken. Ein anderer Teil sind Pomaken. Ein Urvolk, das schon Jahrtausende in der Region lebt. Athen und Ankara hatten 1923 vereinbart, diese muslimische Minderheit sowie eine orthodox-christliche in Istanbul von einem allgemeinen Bevölkerungsaustausch auszunehmen. Damals mussten nach mehreren Kriegen rund 1,5 Millionen Griechen und rund 400.000 Türken die Türkei und Griechenland verlassen und wurden in das jeweils andere Land umgesiedelt. Viele Historiker nennen dies eine staatlich vereinbarte ethnische Säuberung. Ein Relikt dieser geschichtlichen Entwicklung ist die institutionalisierte islamische Paralleljustiz in West-Thrakien. Als Richter agieren die drei Muftis der Präfekturen von Evros, Rodopi und Xanthi, die den Status von Beamten des griechischen Staates haben.

Muftis dürfen nur mit Zustimmung aller Parteien entscheiden

Ihre Kompetenz liegt in Scheidungs- und Sorgerechtsfällen sowie Erbschaftsfragen. Die Urteile des Muftis müssen vom örtlichen Landgericht bestätigt werden, was aber als Formalie behandelt wird. Es galt bisher das, was der Geistliche beschlossen hat. Die linke Regierung in Athen plant nun eine fundamentale Änderung: Nur wenn beide Streitparteien dem zustimmen, soll der jeweilige muslimische Geistliche nach dem islamischen Heiligen Recht entscheiden. Andernfalls soll die griechische Justiz urteilen. Dies sieht ein Gesetzentwurf von Minister Gavroglou vor, der dem Parlament demnächst vorgelegt werden soll. "Es ist eine höchst demokratische Reform", sagt er.

Skepsis überwiegt

Die Minderheit ist religiös-konservativ. Die Phase des Laizismus - der klaren Trennung von Staat und Religion - ging an ihr vorüber, anders als in der benachbarten Türkei während der Atatürk-Ära. Offizielle Reaktionen auf die Ankündigungen der Regierung in Athen gibt es nicht. "Wir warten ab, was das neue Gesetz genau sagt. Wir sind misstrauisch", heißt es hinter vorgehaltener Hand aus Kreisen der geistlichen Führung der Minderheit in der Stadt Komotini. Auch aus linken Kreisen der Minderheit gibt es Skepsis, allerdings aus einem anderen Grund: Wie könne etwa ein 13-jähriges Mädchen, dessen Eltern beschlossen haben, wen es heiraten soll, einen Einspruch einlegen, heißt es. Zahlreiche solche Fälle hatten in den vergangenen Jahren für Ärger und Aufsehen in Westeuropa gesorgt. Immer wieder hatten Ehen griechischer Minderjähriger muslimischen Glaubens, die in Deutschland leben, für Schlagzeilen gesorgt.

Redaktion beck-aktuell, Takis Tsafos, 5. Dezember 2017 (dpa).