EuGH zur Überprüfbarkeit von Wechselkursrisikoklauseln in Fremdwährungsdarlehen auf Missbräuchlichkeit

Die Missbräuchlichkeit einer unklaren Vertragsklausel, nach der das Wechselkursrisiko auf dem Fremdwährungsdarlehensnehmer lastet, und die nicht auf bindenden Rechtsvorschriften beruht, kann gerichtlich überprüft werden. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 20.09.2018 entschieden (Az.: C-51/17).

Fremdwährungsdarlehensklausel bürdet Darlehensnehmern Wechselkursrisiko auf

Die Ausgangskläger schlossen im Februar 2008 mit einer ungarischen Bank einen Darlehensvertrag über die Gewährung eines auf Schweizer Franken (CHF) lautenden Darlehens. Nach dem Vertrag waren die monatlichen Tilgungsraten in ungarischen Forint (HUF) zu zahlen, der Betrag dieser Tilgungsraten wurde jedoch auf der Grundlage des aktuellen Wechselkurses zwischen Forint und Franken berechnet. Außerdem wurde im Vertrag auf das Wechselkursrisiko im Fall möglicher Kursschwankungen zwischen diesen beiden Währungen hingewiesen. Anschließend änderte sich der Wechselkurs erheblich zu Lasten der Darlehensnehmer, was zu einer signifikanten Erhöhung ihrer Monatsraten führte.

Vertragsklausel über Wechselkursrisiko missbräuchlich?

Im Mai 2013 erhoben die Ausgangskläger bei den ungarischen Gerichten Klage gegen die OTP Bank und die OTP Factoring, zwei Gesellschaften, an die die Forderungen aus dem Darlehensvertrag abgetreten worden waren. Im Lauf dieses Verfahrens stellte sich die Frage, ob die Vertragsklausel über das Wechselkursrisiko von der betroffenen Bank unklar und unverständlich abgefasst worden war, und daher als missbräuchlich im Sinne der Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln angesehen werden konnte.

Zwischenzeitliche ungarische Neuregelung belässt Wechselkursrisiko beim Darlehensnehmer

In der Zwischenzeit hatte Ungarn im Jahr 2014 eine Regelung erlassen, wonach bestimmte missbräuchliche Klauseln aus Fremdwährungsdarlehensverträgen entfernt, praktisch alle ausstehenden Verbraucherschulden aus diesen Verträgen in Forint umgerechnet werden sollten und der von der ungarischen Nationalbank festgelegte Wechselkurs angewandt werden sollte. Diese Regelung bezweckte außerdem die Umsetzung eines Beschlusses des obersten ungarischen Gerichtshofs über die Unvereinbarkeit bestimmter Klauseln in Fremdwährungsdarlehensverträgen mit der Richtlinie. Diese Neuregelung änderte jedoch nichts daran, dass das Wechselkursrisiko bei einer Abwertung des Forint gegenüber dem Schweizer Franken den Verbraucher trifft.

Ungarisches Vorlagegericht: Klausel dennoch auf Missbräuchlichkeit überprüfbar?

Da nach der Richtlinie Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften beruhen, nicht in deren Geltungsbereich fallen, wollte das ungarische Vorlagegericht, das Hauptstädtische Tafelgericht vom EuGH wissen, ob es die Missbräuchlichkeit einer unklaren und unverständlichen Klausel feststellen könne, obgleich der ungarische Gesetzgeber akzeptiert habe, dass das Wechselkursrisiko bei einer Abwertung des Forint gegenüber der Fremdwährung weiterhin auf dem Verbraucher laste.

EuGH: Nicht von bindenden Rechtsvorschriften erfasste Klauseln auf Missbräuchlichkeit überprüfbar

Der EuGH weist darauf hin, dass die Ausnahme von auf bindenden Rechtsvorschriften beruhenden Klauseln vom Geltungsbereich der Richtlinie dadurch gerechtfertigt sei, dass anzunehmen sei, der nationale Gesetzgeber habe eine ausgewogene Regelung aller Rechte und Pflichten der Vertragsparteien getroffen. Dies bedeute jedoch nicht, dass eine andere Vertragsklausel, die nicht von bindenden Rechtsvorschriften erfasst sei – wie im vorliegenden Fall die Klausel über das Wechselkursrisiko – in ihrer Gesamtheit ebenfalls vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen ist. Die Missbräuchlichkeit einer solchen Klausel könne also von einem nationalen Gericht beurteilt werden, wenn dieses nach einer Einzelfallprüfung zu der Auffassung gelange, dass sie nicht klar und verständlich abgefasst wurde.

Wechselkursrisikoklausel muss wirtschaftliches Risiko für Darlehensnehmer erkennen lassen

Insoweit ist der EuGH der Auffassung, dass die Finanzinstitute den Darlehensnehmern ausreichende Informationen zur Verfügung stellen müssten, um diese in die Lage zu versetzen, umsichtige und besonnene Entscheidungen zu treffen. Dies bedeute, dass eine Klausel über das Wechselkursrisiko für den Verbraucher in formeller und grammatikalischer Hinsicht, aber auch hinsichtlich ihrer konkreten Tragweite verständlich sein muss. Demzufolge müsse ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher nicht nur die Möglichkeit einer Abwertung der nationalen Währung gegenüber der Fremdwährung, in der der Kredit gewährt worden sei, erkennen, sondern auch die – möglicherweise erheblichen – wirtschaftlichen Folgen einer solchen Klausel für seine finanziellen Verpflichtungen einschätzen können.

Klarheit von Klauseln anhand sämtlicher Vertragsumstände des Einzelfalls zu beurteilen

Der EuGH weist außerdem darauf hin, dass die Klarheit und Verständlichkeit von Vertragsklauseln unter Berücksichtigung aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln desselben Vertrages zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt werden müsse. Dabei spiele es keine Rolle, dass der nationale Gesetzgeber einige dieser Klauseln zu einem späteren Zeitpunkt für missbräuchlich oder mutmaßlich missbräuchlich und deshalb für nichtig erklärt hat.

Missbräuchlichkeit anderer Vertragsklauseln kann von Amts wegen zu prüfen sein

Schließlich bestätigt der EuGH, dass das nationale Gericht von Amts wegen – anstelle des Verbrauchers in seiner Eigenschaft als Kläger – die Frage der möglichen Missbräuchlichkeit anderer Vertragsklauseln als der über das Wechselkursrisiko aufgreifen müsse, sobald es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfüge.

EuGH, Urteil vom 20.09.2018 - C-51/17

Redaktion beck-aktuell, 20. September 2018.