Ungültige Schiedsklausel in Investitionsabkommen ersetzende ad-hoc-Schiedsvereinbarung unionsrechtswidrig

EU-Mitgliedstaaten dürfen keine Schiedsvereinbarung abschließen, die den gleichen Inhalt hat wie eine in einem zwischen Mitgliedstaaten abgeschlossenen Investitionsabkommen enthaltene ungültige Schiedsklausel. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Das nationale Gericht sei daher verpflichtet, einen Schiedsspruch aufzuheben, der auf der Grundlage einer solchen Schiedsvereinbarung ergangen sei.

Streit um Anrufung eines Schiedsgerichts

Im Jahr 2013 wurde PL Holdings, einer Gesellschaft luxemburgischen Rechts, das mit ihren Anteilen an einer polnischen Bank verbundene Stimmrecht entzogen; ihre Anteile wurden zwangsweise veräußert. PL Holdings war mit der Entscheidung der polnischen Finanzaufsichtskommission nicht einverstanden. Daher beschloss sie, ein Schiedsverfahren gegen Polen zu beantragen. Dabei stützte sie sich auf das 1987 zwischen Belgien und Luxemburg einerseits und Polen andererseits geschlossene Investitionsabkommen und wandte sich an das in einer Schiedsklausel dieses Abkommens genannte Schiedsgericht.

Ad-hoc-Schiedsvereinbarung trotz gleichlautender ungültiger Schiedsklausel in unionsinternem Investitionsabkommen?

Mit zwei Schiedssprüchen erklärte sich das Schiedsgericht für zuständig, über die in Rede stehende Streitigkeit zu entscheiden, stellte fest, dass Polen gegen seine Verpflichtungen aus dem Investitionsabkommen verstoßen habe und verurteilte das Land, Schadenersatz an PL Holdings zu zahlen. Die beim schwedischen Berufungsgericht Svea von Polen erhobene Klage auf Aufhebung der Schiedssprüche wurde abgewiesen. Zwar sei die Schiedsklausel im Investitionsabkommen, wonach eine diesen Vertrag betreffende Streitigkeit von einer Schiedsstelle zu entscheiden sei, ungültig; doch hindere diese Ungültigkeit einen Mitgliedstaat und einen Investor eines anderen Mitgliedstaats nicht daran, später ad hoc eine Schiedsvereinbarung zur Beilegung dieser Streitigkeit abzuschließen. Der mit einem gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts gerichteten Rechtsmittel befasste Oberste Gerichtshof Schwedens rief den EuGH an. Er wollte wissen, ob die Art. 267 und 344 AEUV einer ad-hoc-Schiedsvereinbarung entgegenstehen, wenn diese Vereinbarung den gleichen Inhalt hat wie eine mit dem Unionsrecht unvereinbare Schiedsklausel in dem Investitionsabkommen.

EuGH: Schiedsklausel in Investitionsabkommen unionsrechtswidrig

Zunächst bestätigt der EuGH seine Achmea-Rechtsprechung (BeckRS 2018, 2315) und legt dar, dass die Schiedsklausel in dem Investitionsabkommen unionsrechtswidrig ist. Denn sie sei geeignet, nicht nur den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten, sondern auch die Erhaltung des eigenen Charakters des Unionsrechts, die durch das Vorabentscheidungsverfahren gewährleistet werde, in Frage zu stellen. Somit sei sie nicht mit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit im Sinn von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV vereinbar und verstoße gegen die unter anderem in Art. 344 AEUV verankerte Autonomie des Unionsrechts.

Ad-hoc-Schiedsvereinbarung umgeht Verpflichtungen aus den Verträgen

Könnte ein Mitgliedstaat in einer Streitigkeit, die die Anwendung oder die Auslegung des Unionsrechts betreffen könne, über eine ad-hoc-Schiedsvereinbarung eine Schiedsstelle anrufen, die dieselben Eigenschaften habe wie die in einer solchen wegen Verletzung des Unionsrechts ungültigen Schiedsklausel genannte, würden die Verpflichtungen aus den Verträgen umgangen und die ungültige Klausel im Ergebnis aufrechterhalten.  

Mitgliedstaaten müssen solche Vereinbarungen rügen

Ferner ergebe sich sowohl aus dem Achmea-Urteil als auch aus den Grundsätzen des Vorrangs des Unionsrechts und der loyalen Zusammenarbeit nicht nur, dass die Mitgliedstaaten sich nicht verpflichten dürfen, dem Gerichtssystem der Union Streitigkeiten zu entziehen, die die Anwendung und Auslegung von Unionsrecht betreffen könnten, sondern auch, dass sie, sobald eine solche Streitigkeit aufgrund einer unionsrechtswidrigen Verpflichtung bei einer Schiedsstelle anhängig gemacht wird, verpflichtet sind, die Gültigkeit der Schiedsklausel oder der ad hoc abgeschlossenen Schiedsvereinbarung zu rügen, aufgrund deren diese Stelle angerufen wurde. Somit wäre jeder Versuch eines Mitgliedstaats, der Ungültigkeit einer Schiedsklausel durch einen mit einem Investor eines anderen Mitgliedstaats geschlossenen Vertrag abzuhelfen, nicht mit dieser Verpflichtung, die Gültigkeit der Schiedsklausel zu rügen, vereinbar und könnte daher zur Rechtswidrigkeit dieses Vertrages als solchem führen, weil er den wesentlichen Vorschriften und Grundsätzen der Unionsrechtsordnung widerspräche. Das nationale Gericht sei somit verpflichtet, einen Schiedsspruch aufzuheben, der auf der Grundlage einer gegen das Unionsrecht verstoßenden Schiedsvereinbarung ergangen sei.

EuGH, Urteil vom 26.10.2021 - C-109/20

Redaktion beck-aktuell, 26. Oktober 2021.