EuGH: Transport von Notfallpatienten durch gemeinnützige Organisationen muss nicht ausgeschrieben werden

Die Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe gelten nicht für die Dienstleistung des Transports von Patienten im Notfall durch gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union entschieden und gleichzeitig klargestellt, dass bei gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen nach EU-Recht keine Gewinnerzielungsabsicht vorliegen darf (Urteil vom 21.03.2019, Az.: C-465/17).

Stadt vergab Rettungsdienstleistungen an zwei Hilfsorganisationen

Die Stadt Solingen hat, nachdem sie mehrere Hilfsorganisationen zur Abgabe eines Angebots aufgefordert hatte, im Jahr 2016 einen Auftrag über Rettungsdienstleistungen für die Dauer von fünf Jahren an zwei dieser Vereinigungen vergeben. Der Auftrag betraf insbesondere die Betreuung und Versorgung von Notfallpatienten durch Rettungsassistenten, unterstützt durch einen Rettungssanitäter, sowie den Einsatz im Krankentransport mit der Hauptaufgabe der Betreuung und Versorgung von Patienten durch einen Rettungssanitäter, unterstützt durch einen Rettungshelfer (letzterer im Folgenden: qualifizierter Krankentransport).

Konkurrent bemängelt Fehlen einer Auftragsbekanntmachung im Amtsblatt der EU

Das Unternehmen Falck Rettungsdienste und die Falck A/S-Gruppe, zu der Falck Rettungsdienste gehört (im Folgenden gemeinsam: Falck), riefen deutsche Gerichte an, um festzustellen zu lassen, dass diese Vergabe mangels vorheriger Veröffentlichung einer Auftragsbekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union nach den allgemeinen Regelungen der Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe (RL 2014/24/EU) rechtswidrig sei.

OLG Düsseldorf: EuGH soll einschlägiges Vergabeverfahren benennen

In diesem Kontext fragte das Oberlandesgericht Düsseldorf den Gerichtshof, ob diese Aufträge unter den Begriff "Dienstleistungen der Gefahrenabwehr" fallen, die gemäß Art. 10h der Richtlinie 2014/24/EU vom Geltungsbereich der klassischen Regelungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen sind, sofern sie bestimmten CPV-Codes (CPV = Common Procurement Vocabulary = Gemeinsames Vokabular für öffentliche Aufträge) entsprechen und von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden. Unter Umständen fielen diese Dienstleistungen unter den Begriff "Einsatz von Krankenwagen zur Patientenbeförderung", für die ein vereinfachtes Vergabeverfahren gelte. Zudem möchte das OLG wissen, wie der Begriff "gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen" auszulegen ist.

EuGH grenzt Gefahrenabwehr von reiner Patientenbeförderung ab

Der EuGH hat jetzt festgestellt, dass nach Art. 10h RL 2014/24/EU die klassischen Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe einschließlich der Verpflichtung zur Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt nicht für öffentliche Aufträge gelten, die den Katastrophenschutz, den Zivilschutz oder die Gefahrenabwehr betreffen. Es sei aber die doppelte Bedingung einzuhalten, dass sie unter bestimmte CPV-Codes fallen (hier der Code für "Rettungsdienste" oder für den "Einsatz von Krankenwagen") und von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden. Diese Ausnahme von der Geltung der Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe enthalte jedoch insofern eine Ausnahme von der Ausnahme, als dass sie nicht für den Einsatz von Krankenwagen zur Patientenbeförderung gilt, für die die vereinfachten Beschaffungsregelungen gelten.

Behandlung von Notfallpatienten in Rettungswagen fällt unter "Gefahrenabwehr"

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass es sich bei der Betreuung und Versorgung von Notfallpatienten in einem Rettungswagen durch einen Rettungsassistenten/Rettungssanitäter und beim qualifizierten Krankentransport weder um "Dienstleistungen des Katastrophenschutzes" noch um "Dienstleistungen des Zivilschutzes" handele, sondern um "Gefahrenabwehr". Aus der wörtlichen und aus der systematischen Auslegung der Richtlinie ergebe sich, dass die "Gefahrenabwehr" sowohl Gefahren für die Allgemeinheit als auch Gefahren für Einzelpersonen betreffe.

Notfalldienst muss vorliegen

Des Weiteren gelte die zugunsten von Dienstleistungen der Gefahrenabwehr bestimmte Ausnahme von den Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe nur für bestimmte Notfalldienste, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden, und dürfe nicht über das unbedingt notwendige Maß hinaus ausgeweitet werden. Die Nichtanwendbarkeit der Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe sei somit untrennbar mit dem Vorhandensein eines Notfalldienstes verknüpft.

CPV-Code gilt für qualifizierten Krankentransport nur bei Vorliegen potenziellen Notfalls

Der Gerichtshof stellt fest, dass die Betreuung und Versorgung von Notfallpatienten, die außerdem in einem Rettungswagen durch einen Rettungsassistenten/Rettungssanitäter geleistet wird, unter den CPV-Code fällt, der "Rettungsdiensten" entspricht. Der qualifizierte Krankentransport falle hingegen nur dann unter den Code, der dem "Einsatz von Krankenwagen" entspricht, wenn zumindest potenziell ein Notfall vorliegt, also wenn ein Patient befördert werden muss, bei dem das – objektiv zu beurteilende – Risiko besteht, dass sich sein Gesundheitszustand während des Transports verschlechtert. Dieses Risiko bringe mit sich, dass der Transport von ordnungsgemäß in erster Hilfe geschultem Personal durchgeführt werden muss. Unter diesen Umständen fänden die allgemeinen Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe (einschließlich der Verpflichtung zur vorherigen Veröffentlichung einer Bekanntmachung mit Amtsblatt) keine Anwendung, sofern diese Dienstleistungen von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden.

Hilfsorganisationen dürfen keine Gewinnerzielungsabsicht haben

Schließlich stellt der EuGH fest, dass gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen, deren Ziel in der Erfüllung sozialer Aufgaben besteht, die nicht erwerbswirtschaftlich tätig sind und die etwaige Gewinne reinvestieren, um ihr Ziel zu erreichen, unter den Begriff "gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen" im Sinn der Richtlinie fallen. Folglich stehe die Richtlinie einer nationalen Regelung entgegen, wonach anerkannte Hilfsorganisationen wie Zivil- und Katastrophenschutzorganisationen als "gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen" gelten, ohne dass die Anerkennung als Hilfsorganisation im nationalen Recht davon abhängt, dass keine Gewinnerzielungsabsicht vorliegt.

EuGH, Urteil vom 21.03.2019 - C-465/17

Redaktion beck-aktuell, 21. März 2019.