EuGH stärkt Rechte von Müttern bei teilweise zu Nachtzeit geleisteter Schichtarbeit

Auch schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillende Arbeitnehmerinnen, die Schichtarbeit verrichten, die nur zum Teil in die Nachtstunden fällt, sind als Nachtarbeit leistend anzusehen und dementsprechend besonders schutzwürdig. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 19.09.2018 entschieden (Az.: C-41/17).

Stillende Mutter begehrte Ruhen des Arbeitsverhältnisses sowie Geldleistung

Isabel González Castro ist als Sicherheitsbedienstete bei Prosegur España SL beschäftigt. Im November 2014 brachte sie einen Jungen zur Welt, den sie stillte. Seit März 2015 geht González Castro ihrer Tätigkeit in variablen achtstündigen Wechselschichten, von denen ein Teil in den Nachstunden liegt, in einem Einkaufszentrum nach. Sie wollte erreichen, dass ihr Arbeitsverhältnis ruht und ihr die nach spanischem Recht vorgesehene Geldleistung wegen Risiken während der Stillzeit gewährt wird. Zu diesem Zweck beantragte sie bei Mutua Umivale (eine private Berufsgenossenschaft ohne Gewinnerzielungsabsicht, bei der die Berufsrisiken versichert sind), ihr ein ärztliches Attest über das Vorliegen eines ihrem Arbeitsplatz innewohnenden Risikos für die Stillzeit auszustellen. Nachdem ihr Antrag abgelehnt worden war, legte González Castro Widerspruch ein, der zurückgewiesen wurde. Daraufhin erhob sie gegen diese Zurückweisung Klage beim Tribunal Superior de Justicia de Galicia (Obergericht Galizien, Spanien).

EU-Richtlinie schützt schwangere und stillende Arbeitnehmerinnen

Die Richtlinie 92/85/EWG über die Sicherheit und den Gesundheitsschutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen sieht unter anderem vor, dass diese Arbeitnehmerinnen während ihrer Schwangerschaft und einem bestimmten Zeitraum nach der Entbindung nicht zu Nachtarbeit verpflichtet werden dürfen, vorbehaltlich eines vorzulegenden ärztlichen Attestes, in dem die entsprechende Notwendigkeit im Hinblick auf ihre Sicherheit und ihren Gesundheitsschutz bestätigt wird. Die Richtlinie 2006/54/EG über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sieht ihrerseits eine Beweislastumkehr vor. Der Beklagte muss, wenn Personen, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert halten und bei einem Gericht beziehungsweise einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat.

Frage unter anderem zu Auslegung des Begriffs "Nachtarbeit"

In diesem Zusammenhang hat das Tribunal Superior de Justicia de Galicia beschlossen, dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen. Es stelle sich zum einen die Frage, wie der Begriff "Nachtarbeit" im Sinne der Richtlinie 92/85/EWG auszulegen ist, wenn Nachtarbeit mit Schichtarbeit kombiniert wird. Zum anderen sei die Beurteilung der Risiken, die der Arbeitsplatz von González Castro beinhalte, möglicherweise nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden und es liege in Wirklichkeit ein Risiko für ihre Gesundheit oder ihre Sicherheit vor. Daher frage sich das Tribunal Superior de Justicia de Galicia, ob in diesem Zusammenhang die in der Richtlinie 2006/54/EG vorgesehenen Regeln über die Beweislastumkehr Anwendung finden. Sollte dies bejaht werden, möchte das vorlegende Gericht weiter wissen, ob der Nachweis dafür, dass die Umgestaltung der Arbeitsbedingungen oder ein Arbeitsplatzwechsel der betroffenen Arbeitnehmerin technisch oder sachlich nicht möglich oder nicht zumutbar ist, der betroffenen Arbeitnehmerin oder dem Beklagten, entweder dem Arbeitgeber oder der Einrichtung, die für die Zahlung der Geldleistung wegen Risiken während der Stillzeit verantwortlich ist, obliegt.

Schutz gilt auch für teilweise zur Nachtzeit geleistete Schichtarbeit

In seinem jetzt ergangenen Urteil betont der EuGH, dass die Richtlinie 92/85/EWG auch dann anwendbar ist, wenn die betroffene Arbeitnehmerin Schichtarbeit leistet, in deren Rahmen sie ihre Arbeit nur zum Teil während der Nachtzeit verrichtet. Die Richtlinie 92/85/EWG enthalte zwar keine nähere Angabe zur genauen Tragweite des Begriffs "Nachtarbeit". Aus den allgemeinen Bestimmungen der Richtlinie 2003/88/EG über die Arbeitszeitgestaltung ergebe sich aber, dass eine Arbeitnehmerin, die Schichtarbeit leistet, in deren Rahmen sie ihre Arbeit nur zum Teil während der Nachtzeit verrichtet, als während der "Nachtzeit" arbeitend anzusehen und daher als "Nachtarbeiter" einzustufen ist. Die besonderen Bestimmungen der Richtlinie 92/85/EWG dürften weder ungünstiger ausgelegt werden als die allgemeinen Bestimmungen der Richtlinie 2003/88/EG noch entgegen der Zielsetzung der Richtlinie 92/85/EWG interpretiert werden, die den Schutz für schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillende Arbeitnehmerinnen verstärken solle. Damit der betroffenen Arbeitnehmerin dieser Schutz im Rahmen der Nachtarbeit zuteil wird, müsse sie ein ärztliches Attest vorlegen, in dem die entsprechende Notwendigkeit im Hinblick auf ihre Sicherheit und den Schutz ihrer Gesundheit bestätigt werde. Es sei Sache des Tribunal Superior de Justicia de Galicia, zu prüfen, ob dies vorliegend der Fall ist.

Unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts erscheint möglich

Der EuGH entschied weiter, dass die in der Richtlinie 2006/54/EG vorgesehenen Regeln über die Umkehr der Beweislast auf eine Situation wie die von González Castro Anwendung finden, wenn die betroffene Arbeitnehmerin Tatsachen vorbringt, die vermuten lassen, dass die Beurteilung der Risiken, die ihr Arbeitsplatz beinhaltet, keine spezifische Prüfung unter Berücksichtigung ihrer individuellen Situation umfasst habe. Nach Auffassung des Gerichts lasse dies den Schluss auf das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne dieser Richtlinie zu.

Individuelle Prüfung erforderlich

Aufgrund dessen, dass schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillende Arbeitnehmerinnen, die Nacharbeit verrichten, nach der Richtlinie 92/85/EWG einen verstärkten Schutz gegen das besondere Risiko, das eine solche Arbeit beinhalten kann, genießen, könne die Beurteilung der Risiken des Arbeitsplatzes dieser Arbeitnehmerinnen nicht weniger strengen Anforderungen unterliegen als denen, die im Rahmen der in dieser Richtlinie geschaffenen allgemeinen Regelung gelten, in der niedergelegt sei, welche Maßnahmen in Bezug auf alle Tätigkeiten zu ergreifen sind, bei denen ein spezifisches Risiko für diese Arbeitnehmerinnen bestehen kann. Diese Beurteilung müsse eine spezifische Prüfung unter Berücksichtigung der individuellen Situation der betroffenen Arbeitnehmerin umfassen, um zu ermitteln, ob ihre Gesundheit oder Sicherheit oder die Gesundheit oder Sicherheit ihres Kindes einem Risiko ausgesetzt sind. Anderenfalls würde eine Frau im Zusammenhang mit Schwangerschaft oder Mutterschaftsurlaub im Sinne der Richtlinie 92/85/EWG ungünstiger behandelt; dies würde eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne der Richtlinie 2006/54/EG darstellen, was die Umkehr der Beweislast zulasse.

Spanisches Gericht muss abschließend entscheiden

Der EuGH erläutert, dass die Risikobeurteilung des Arbeitsplatzes von González Castro dem Anschein nach keine solche Prüfung umfasst habe und die Betroffene offenbar diskriminiert worden sei. Es sei allerdings Sache des Tribunal Superior de Justicia de Galicia, zu prüfen, ob dies tatsächlich der Fall ist. Sollte dies bejaht werden, obliege es dem Beklagten, das Gegenteil zu beweisen.

EuGH, Urteil vom 19.09.2018 - C-41/17

Redaktion beck-aktuell, 19. September 2018.