EuGH: PSPP-Anleihekaufprogramm der EZB mit EU-Recht vereinbar

Das PSPP-Programm der Europäischen Zentralbank (EZB) zum Ankauf von Staatsanleihen an den Sekundärmärkten verstößt nicht gegen das EU-Recht. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 11.12.2018 entschieden. Weder überschreite das Programm das geldpolitische Mandat der EZB noch verstoße es gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung (Az.: C-493/17).

PSPP-Programm als Maßnahme gegen Deflationsgefahr beschlossen

Die EZB legte am 04.03.2015 ein Programm zum Ankauf von Staatsanleihen an den Sekundärmärkten (Public sector asset purchase programme, im Folgenden: PSPP) auf, um einem bestehenden Deflationsrisiko in der Eurozone zu begegnen und wieder eine Inflationsrate von unter, aber nahe 2% zu erreichen. Nach ihrer Ansicht erleichtert der massive Ankauf von Staatsanleihen den Zugang zu Finanzierungen, die dem wirtschaftlichen Wachstum dienten, indem er den Rückgang der Realzinssätze fördere und die Geschäftsbanken dazu anhalte, mehr Kredite zu gewähren. So solle mit dem PSPP eine Lockerung der monetären und finanziellen Bedingungen einschließlich derjenigen für private Haushalte und nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften bewirkt werden, um insgesamt den Konsum und die Investitionsausgaben im Euro-Währungsgebiet zu fördern.

Anleihenkauf erfolgt nach Verteilungsschlüssel

Das PSPP sieht vor, dass jede nationale Zentralbank notenbankfähige Wertpapiere von zentralen, regionalen oder lokalen öffentlich-rechtlichen Emittenten des eigenen Hoheitsgebiets kauft, wobei die Ankäufe nach dem Schlüssel für die Kapitalzeichnung der EZB verteilt werden. Der Anteil der nationalen Zentralbanken am Buchwert der Ankäufe beträgt 90%, der der EZB 10%. Am 12.05.2017 betrug das Volumen des PSPP 1.534,8 Milliarden Euro. Für das PSPP war ursprünglich eine Laufzeit bis Ende September 2016 vorgesehen. Diese Laufzeit wurde später mehrfach verlängert.

Mehrere Verfassungsbeschwerden rügen ultra-vires-Akt

Mehrere Gruppen von Privatpersonen erhoben beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerden gegen verschiedene Beschlüsse der EZB, die Mitwirkung der Deutschen Bundesbank an der Umsetzung dieser Beschlüsse oder ihre behauptete Untätigkeit im Hinblick auf diese sowie die behauptete Untätigkeit der Bundesregierung und des Deutschen Bundestags im Hinblick auf diese Mitwirkung und auf diese Beschlüsse. Diese Gruppen von Privatpersonen machen im Wesentlichen geltend, dass die fraglichen Beschlüsse der EZB zusammen betrachtet einen ultra vires ergangenen Rechtsakt darstellten, da sie die Verteilung der Kompetenzen zwischen der EU und den Mitgliedstaaten missachteten, weil sie nicht vom Mandat der EZB gedeckt seien, und gegen das Verbot der monetären Finanzierung verstießen. Außerdem verletzten die Beschlüsse das im Grundgesetz niedergelegte Demokratieprinzip und beeinträchtigten dadurch die deutsche Verfassungsidentität.

BVerfG rief EuGH an

Das BVerfG wies darauf hin, dass es den Verfassungsbeschwerden stattgeben müsse, falls das PSPP über das Mandat der EZB hinausgehe oder gegen das Verbot der monetären Finanzierung verstoße. Dies gelte auch, falls die sich aus dem PSPP ergebende Verlustverteilung das Budgetrecht des Deutschen Bundestages beeinträchtige. Das BVerfG beschloss daher, den EuGH zur Gültigkeit des PSPP am Maßstab des Unionsrechts zu befragen.

EuGH: Geldpolitisches Mandat der EZB nicht überschritten

Laut EuGH ist das PSPP-Programm der EZB mit dem Unionsrecht vereinbar. Die Prüfung der vom BVerfG vorgelegten Fragen habe nichts ergeben, was die Gültigkeit des PSPP beeinträchtigen könnte. So gehe das Programm nicht über das Mandat der EZB hinaus. Es falle in den Bereich der Währungspolitik, in dem die Union für die Euro-Staaten eine ausschließliche Zuständigkeit habe, und achte den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das PSPP solle dazu beitragen, dass sich die Inflationsraten mittelfristig wieder einem Niveau von unter, aber nahe 2% annähern. Es sei nicht ersichtlich, dass die vom Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) vorgenommene Konkretisierung des Ziels der Gewährleistung der Preisstabilität dahin, mittelfristig Inflationsraten von unter, aber nahe 2% zu gewährleisten, mit einem offensichtlichen Beurteilungsfehler behaftet ist und den durch die Verträge der Union festgelegten Rahmen überschreitet.

Mittelbare wirtschaftspolitische Auswirkungen genügen nicht

Der EuGH legt dar, dass eine währungspolitische Maßnahme nicht allein deshalb einer wirtschaftspolitischen Maßnahme gleichzustellen sei, weil sie mittelbare wirtschaftspolitische Auswirkungen haben könne. Um Einfluss auf die Inflationsraten zu nehmen, müsse das ESZB vielmehr zwangsläufig Maßnahmen mit gewissen Auswirkungen auf die Realwirtschaft ergreifen, die – zu anderen Zwecken – auch im Rahmen der Wirtschaftspolitik angestrebt werden könnten. Würde dem ESZB jegliche Möglichkeit verwehrt, solche Maßnahmen zu ergreifen, wenn ihre Auswirkungen vorhersehbar seien und bewusst in Kauf genommen würden, wäre es ihm in der Praxis verboten, die ihm durch die Verträge zur Erreichung der Ziele der Geldpolitik zur Verfügung gestellten Mittel anzuwenden. Dies könnte insbesondere im Kontext einer Wirtschaftskrise, mit der ein Deflationsrisiko einhergehe, ein unüberwindbares Hindernis für die Erfüllung der ihm nach dem Primärrecht obliegenden Aufgabe darstellen.

PSPP-Programm zur Gewährleistung der Preisstabilität geeignet

Außerdem gehe aus dem Primärrecht eindeutig hervor, dass die EZB und die nationalen Zentralbanken grundsätzlich auf den Finanzmärkten tätig werden können, indem sie auf Euro lautende börsengängige Wertpapiere endgültig kaufen und verkaufen, so der EuGH weiter. Es sei nicht ersichtlich, dass die wirtschaftliche Analyse des ESZB, wonach das PSPP unter den monetären und finanziellen Bedingungen des Euro-Währungsgebiets geeignet gewesen sei, zur Erreichung des Ziels der Gewährleistung der Preisstabilität beizutragen, einen offensichtlichen Beurteilungsfehler aufweist.

PSPP-Programm auch erforderlich

Dem EuGH zufolge geht das PSPP nach seinem Grundgedanken auch nicht offensichtlich über das zur Erhöhung der Inflationsrate Erforderliche hinaus. Insbesondere habe die Gefahr einer Deflation nicht durch den Einsatz der anderen Instrumente, über die das ESZB verfügt habe, abgewendet werden können. Die Leitzinsen seien auf ein Niveau festgesetzt gewesen, das sich der in Betracht kommenden Untergrenze genähert habe, und das ESZB habe bereits seit mehreren Monaten ein Programm zum massiven Ankauf von Wertpapieren des Privatsektors durchgeführt. Zu den Anwendungsmodalitäten des PSPP stellt der EuGH fest, dass dieses Programm nicht selektiv ist und nicht den besonderen Finanzierungsbedürfnissen bestimmter Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets Rechnung trägt. Es erlaube nicht den Kauf von Wertpapieren, die ein hohes Risiko tragen, und sehe strenge Ankaufobergrenzen pro Emission und Emittent vor. Zudem räume es dem Ankauf von Anleihen privater Wirtschaftsteilnehmer Vorrang ein. Es erscheine nicht offensichtlich, dass ein Programm für den Erwerb von Staatsanleihen von geringerem Umfang oder kürzerer Dauer genau so wirkungsvoll und schnell wie das PSPP eine vergleichbare Entwicklung der Inflation hätte gewährleisten können, wie sie vom ESZB angestrebt werde, um das von den Verfassern der Verträge festgelegte vorrangige Ziel der Währungspolitik zu erreichen.

Angemessenheit ebenfalls gewahrt

Außerdem habe das ESZB die verschiedenen beteiligten Interessen so gegeneinander abgewogen, dass offensichtlich außer Verhältnis zu den verfolgten Zielen stehende Nachteile bei der Durchführung des PSPP tatsächlich vermieden werden. Insbesondere habe es die Risiken, denen der beträchtliche Umfang der im Rahmen des PSPP getätigten Wertpapierankäufe die Zentralbanken der Mitgliedstaaten gegebenenfalls habe aussetzen können, gebührend berücksichtigt und sei der Ansicht gewesen, dass eine allgemeine Verlustteilungsregel nicht einzuführen sei.

Kein Verstoß gegen Verbot der monetären Finanzierung

Laut EuGH verstößt das PSPP auch nicht gegen das Verbot der monetären Finanzierung, das dem ESZB verbiete, einem Mitgliedstaat Kreditfazilitäten zu gewähren. Die Durchführung dieses Programms habe nicht die gleiche Wirkung wie der Ankauf von Anleihen an den Primärmärkten und nehme den Mitgliedstaaten nicht den Anreiz, eine gesunde Haushaltspolitik zu verfolgen.

Ausreichende Garantien schließen Vorhersehbarkeit von Anleihekäufen aus

Das PSPP sei mit Garantien versehen, die sicherstellten, dass ein privater Marktteilnehmer beim Erwerb von Anleihen eines Mitgliedstaats nicht sicher sein könne, dass das ESZB diese in absehbarer Zeit tatsächlich ankaufen wird. Der Umstand, dass die Modalitäten des PSPP den Erwerb eines erheblichen Volumens von Anleihen öffentlich-rechtlicher Körperschaften und Einrichtungen der Mitgliedstaaten auf makroökonomischer Ebene vorhersehbar machten, könne einem konkreten privaten Marktteilnehmer keine solche Gewissheit verschaffen, dass er faktisch wie eine Mittelsperson des ESZB für den unmittelbaren Erwerb von Anleihen von einem Mitgliedstaat agieren könnte.

Auswirkungen auf gesunde Haushaltspolitik durch zahlreiche Maßnahmen beschränkt

Außerdem erlaube dieses Programm den Mitgliedstaaten nicht, ihre Haushaltspolitik festzulegen, ohne zu berücksichtigen, dass die Kontinuität der Durchführung des Programms mittelfristig keineswegs gewährleistet ist und sie daher im Fall eines Defizits nach einer Finanzierung auf dem Markt zu suchen haben werden, ohne von der Lockerung der Finanzierungsbedingungen profitieren zu können, die die Durchführung des PSPP möglicherweise bewirkt. Außerdem seien die Auswirkungen des PSPP auf den Anreiz, eine gesunde Haushaltspolitik zu verfolgen, durch die Begrenzung des monatlichen Gesamtvolumens der Ankäufe von Wertpapieren des öffentlichen Sektors, die Subsidiarität des PSPP, die Verteilung der Ankäufe zwischen den nationalen Zentralbanken anhand des Schlüssels für die Kapitalzeichnung der EZB, die Ankaufobergrenzen pro Emission und Emittent (die bewirkten, dass nur ein geringer Teil der von einem Mitgliedstaat ausgegebenen Anleihen vom ESZB im Rahmen des PSPP erworben werden kann) und die hohen Zulassungskriterien (die auf einer Bonitätsbeurteilung beruhten) beschränkt. Zudem stehe das Verbot der monetären Finanzierung weder dem Halten von Anleihen bis zur ihrer Endfälligkeit noch dem Ankauf von Anleihen mit negativer Endfälligkeitsrendite entgegen.

EuGH, Urteil vom 11.12.2018 - C-493/17

Redaktion beck-aktuell, 11. Dezember 2018.