EuGH: Millionen-Sanktionen gegen Griechenland wegen unterlassener Eintreibung rechtswidrig gewährter Beihilfen

Weil Griechenland die der Gesellschaft Ellinika Nafpigeia AE gewährten staatlichen Beihilfen nicht wieder eingetrieben hat, hat der Europäische Gerichtshof den EU-Mitgliedstaat am 14.11.2018 zur Zahlung eines Pauschalbetrags von zehn Millionen Euro sowie eines Zwangsgelds von mehr als sieben Millionen Euro pro Halbjahr des Verzugs verurteilt (Az.: C-93/17). Die Vertragsverletzung durch Griechenland hatte der EuGH schon mit einem Urteil aus dem Jahr 2012 festgestellt (BeckRS 2012, 81611).

Ellinika Nafpigeia ist Kriegsschiff-Werft

Die Gesellschaft Ellinika Nafpigeia AE (ENAE) ist als Eigentümerin einer in Skaramagkas (Griechenland) belegenen zivilen und militärischen Werft auf den Bau von Kriegsschiffen spezialisiert. Nachdem ihre Abwicklung eingeleitet worden war, wurde ENAE 1985 von einer dem griechischen Staat gehörenden Bank erworben. ENAE wurde 2001 privatisiert und 2005 von der ThyssenKrupp AG erworben. Sie gelangte unter die Kontrolle der Abu Dhabi Mar LLC, die im Laufe des Jahres 2009 75,1% der von ThyssenKrupp gehaltenen Aktien von ENAE erwarb.

EU-Kommission stufte Maßnahmen schon 2008 als unzulässige staatliche Beihilfen ein

Griechenland hatte in den Jahren 1996 bis 2003 Maßnahmen (Kapitalzuführungen, Bürgschaften und Darlehen) zugunsten von ENAE ergriffen, zu denen mehrere Entscheidungen des Rates und der Kommission ergangen sind. Im Jahr 2008 erließ die Kommission eine Entscheidung, nach der diese Maßnahmen Beihilfen darstellten, die mit dem Binnenmarkt nicht vereinbar und sofort zurückzufordern seien, und zwar allein von den dem Zivilbereich zugeordneten Vermögenswerten von ENAE, weil sie ausschließlich dem Zivilbereich dieser Gesellschaft zugutegekommen seien.

Kompromiss wegen Befürchtungen in Bezug auf Sicherheitsinteressen Griechenlands

Griechenland machte geltend, dass die vollständige Rückforderung der in Rede stehenden Beihilfen zur Insolvenz von ENAE führen und ihre Tätigkeiten im militärischen Bereich beeinträchtigen könnte und damit wesentliche Sicherheitsinteressen des Staates zu beeinträchtigen drohe. Um dies zu vermeiden, sind die Kommission, Griechenland und ENAE zu einer Vereinbarung gelangt, der zufolge die Entscheidung von 2008 als vollständig durchgeführt gelten sollte, sofern ENAE und Griechenland eine Reihe von Zusagen einhielten. Griechenland hatte der Kommission binnen sechs Monaten nach deren Zustimmung zu der Liste der Zusagen den Nachweis zu erbringen, dass diese Zusagen eingehalten wurden, und musste sie jährlich über den jeweiligen Stand der Rückerstattung unterrichten.

EuGH entschied 2012: Griechenland hat Verpflichtungen aus Kompromiss nicht erfüllt

Die Kommission, die der Auffassung war, dass Griechenland seinen Verpflichtungen aus der Entscheidung von 2008 nicht nachgekommen war, erhob im Jahr 2010 vor dem EuGH eine Vertragsverletzungsklage gegen diesen Mitgliedstaat. Mit Urteil vom 28.06.2012 entschied der Gerichtshof, dass Griechenland seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen war (BeckRS 2012, 81611). Im Laufe des Jahres 2012 verabschiedete das griechische Parlament ein Gesetz, mit dem das ausschließliche Nutzungsrecht, das ENAE an bestimmten Grundstücken eingeräumt worden war, aufgehoben wurde. 2014 erließ Griechenland aus Gründen der nationalen Sicherheit ein weiteres Gesetz, mit dem Zwangsversteigerungen jeder Art in das Vermögen von ENAE ausgesetzt wurden.

2014 Mahnung durch Kommission mit Fristsetzung

Im Laufe des Jahres 2014 übersandte die Kommission den griechischen Behörden ein Mahnschreiben, in dem sie feststellte, dass die Entscheidung von 2008 nicht durchgeführt worden sei, und ihnen eine Frist von zwei Monaten einräumte, um ihren Verpflichtungen aus dem Urteil vom 28.06.2012 nachzukommen (BeckRS 2012, 81611).

Griechenland verweist auf unkooperatives Verhalten von ENAE

Die griechischen Behörden antworteten mit einem Hinweis auf obstruktives Verhalten und das Fehlen jeglicher Kooperation auf Seiten von ENAE. Im Dezember 2015 richteten die griechischen Behörden an ENAE eine Rückzahlungsanordnung über einen Betrag von 523.352.889,23 Euro (ungefähr 80% des zurückzufordernden Betrags). Im Februar 2017 leiteten die griechischen Behörden ein Verfahren zur Vollstreckung in die dem Zivilbereich zugeordneten Vermögenswerte von ENAE ein. Wegen vorausgegangener Pfändungen anderer Gläubiger und der schwierigen finanziellen Lage des Unternehmens wurden jedoch keine Beträge eingezogen. In der Erwägung, dass Griechenland seinen Verpflichtungen aus dem Urteil von 2012 immer noch nicht nachgekommen sei, hat die Kommission im Jahr 2017 erneut eine Vertragsverletzungsklage gegen diesen Mitgliedstaat erhoben. Im Juni 2017 forderten die griechischen Behörden ENAE dazu auf, die restlichen 20% des Betrags der zurückzuzahlenden Beihilfen (95.098.200,99 Euro) zu zahlen; die Zahlung ist nicht erfolgt.

ENAE seit März 2018 unter Sonderverwaltung

Im März 2018 hat das Monomeles Protodikeio Athinon (Erstinstanzliches Gericht Athen, Griechenland, in Einzelrichterbesetzung) ENAE unter Sonderverwaltung gestellt. Im selben Monat haben die griechischen Behörden versucht, beim Sonderverwalter von ENAE die Forderungen Griechenlands in Bezug auf die Rückerstattung der betreffenden Beihilfen anzumelden. Im Juni 2018 hat ENAE mittels eines Übergabeprotokolls den Besitz der ihr zur ausschließlichen Nutzung überlassenen Grundstücke übergeben.

EuGH hält finanzielle Sanktionen gegen Griechenland für erforderlich

Mit seinem aktuellen Urteil stellt der EuGH zum einen fest, dass Griechenland bei Ablauf der ihm von der Kommission in ihrem Mahnschreiben von 2014 gesetzten Frist (also am 27.01.2015) gegen seine Verpflichtung verstoßen hat, alle Maßnahmen zu treffen, die sich aus dem Urteil von 2012 ergeben, und zum anderen, dass die Vertragsverletzung bis zur Prüfung des Sachverhalts durch den Gerichtshof angedauert hat. Daher halte es der EuGH für erforderlich, gegen Griechenland finanzielle Sanktionen in Form eines halbjährlichen Zwangsgelds – um die Durchführung des Urteils von 2012 sicherzustellen und es der Kommission zu ermöglichen, den Fortschritt der Maßnahmen zur Durchführung des Urteils von 2012 zu beurteilen – und eines Pauschalbetrags – als abschreckende Maßnahme – zu verhängen.

Wiederholt rechtswidriges Verhalten und Dauer des Verstoßes zulasten Griechenlands gewertet

Was die Schwere des Verstoßes betrifft, betont der Gerichtshof die zentrale Stellung der Vertragsbestimmungen über staatliche Beihilfen sowie die beachtliche Höhe der nicht zurückgezahlten Beihilfen und den grenzüberschreitenden Charakter des Schiffsbaumarkts. Der EuGH stellt ferner unter Verweis auf mehrere Urteile (BeckRS 2012, 80817; EuZW 2009, 771; BeckRS 2018, 104; BeckRS 2017, 130376; BeckRS 2013, 82073) fest, dass Griechenland im Bereich der staatlichen Beihilfen wiederholt ein rechtswidriges Verhalten gezeigt habe. Der Gerichtshof hat die erhebliche Dauer des Verstoßes (sechs Jahre ab der Verkündung des Urteils von 2012) berücksichtigt. Für die Beurteilung der Zahlungsfähigkeit Griechenlands hat er nicht auf das Kriterium der Zahl der Stimmen dieses Mitgliedstaats im Rat oder das neue System der doppelten Mehrheit abgestellt. Er hat das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Griechenlands als vorrangigen Faktor sowie das Ausmaß der Wirtschaftskrise in Griechenland berücksichtigt (Rückgang von mehr als 25% seines BIP zwischen 2010 und 2016).

Verurteilung zu hohen finanziellen Sanktionen

Unter diesen Umständen verurteilt der EuGH Griechenland dazu, einen Pauschalbetrag von zehn Millionen Euro sowie ein Zwangsgeld von 7.294.000 Euro pro Halbjahr der Verzögerung bei der Vornahme der Maßnahmen, die notwendig sind, um dem Urteil von 2012 nachzukommen, vom Tag der Verkündung des vorliegenden Urteils an bis zur vollständigen Durchführung des Urteils von 2012 an den Unionshaushalt zu zahlen.

EuGH, Urteil vom 14.11.2018 - C-93/17

Redaktion beck-aktuell, 15. November 2018.