Juristische Personen des öffentlichen Rechts können für Umweltschäden haftbar sein

Juristische Personen des öffentlichen Rechts können für Umweltschäden haftbar sein, die durch Tätigkeiten verursacht werden, die aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung im öffentlichen Interesse ausgeübt werden, wie etwa der Betrieb eines Schöpfwerks zur Entwässerung landwirtschaftlicher Flächen. Dies verdeutlicht ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshof, das sich auf die deutsche Halbinsel Eiderstedt bezieht.

Körperschaft des öffentlichen Rechts entwässert Halbinsel Eiderstedt

In den Jahren 2006 bis 2009 wurde ein Teil der schleswig-holsteinischen Halbinsel Eiderstedt als "Schutzgebiet" ausgewiesen, unter anderem aufgrund des Vorkommens der Trauerseeschwalbe, eines geschützten Wasservogels. Nach dem Managementplan wird das Schutzgebiet für diese Art noch immer überwiegend als Grünlandgebiet großflächig traditionell bewirtschaftet. Die Halbinsel Eiderstedt bedarf zur Besiedlung und landwirtschaftlichen Nutzung der Entwässerung. Zu diesem Zweck betreibt der Deich- und Hauptsielverband Eiderstedt, ein Wasser- und Bodenverband in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, ein Schöpfwerk, das das gesamte Verbandsgebiet entwässert. Die eine Reduzierung des Wasserstands bewirkenden Pumpvorgänge dieses Schöpfwerks gehören zur Aufgabe der Unterhaltung oberirdischer Gewässer, die diesem Verband als öffentlich-rechtliche Verpflichtung übertragen ist.

Naturschutzbund macht Deich- und Hauptsielverband für Umweltschäden verantwortlich

Der Naturschutzbund Deutschland war der Ansicht, der Deich- und Hauptsielverband Eiderstedt habe durch den Betrieb dieses Schöpfwerks Umweltschäden zulasten der Trauerseeschwalbe zu vertreten. Deswegen stellte die Umweltvereinigung beim Kreis Nordfriesland einen Antrag auf Anordnung von Maßnahmen zur Begrenzung und Sanierung dieser Schäden, der jedoch abgelehnt wurde.

Naturschutzbund beruft sich auf Richtlinie über Umwelthaftung

Zur Stützung ihres Antrags berief sich die Vereinigung auf die zur Umsetzung der Richtlinie 2004/35 über Umwelthaftung erlassenen deutschen Rechtsvorschriften. Mit dieser Richtlinie wird ein Rahmen für die Umwelthaftung geschaffen, um unter anderem Umweltschäden zu vermeiden und zu sanieren, die den insbesondere in der Habitatrichtlinie und in der Vogelschutzrichtlinie genannten Arten und natürlichen Lebensräumen entstehen. Nach Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 können die Mitgliedstaaten jedoch eine Haftungsbefreiung zugunsten der Eigentümer und der Betreiber vorsehen, wenn die Schädigungen von Arten und natürlichen Lebensräumen auf einer "normalen Bewirtschaftung" des betreffenden Gebiets beruhen. Von dieser Möglichkeit hat Deutschland Gebrauch gemacht.

BVerwG ruft EuGH an: Was fällt unter "normale Bewirtschaftung eines Gebiets"?

Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverwaltungsgericht, das mit dem abgelehnten Antrag der Umweltvereinigung befasst ist, beschlossen, dem EuGH die Frage vorzulegen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Tätigkeit wie der Betrieb eines Schöpfwerks zur Entwässerung landwirtschaftlicher Flächen als zur "normalen Bewirtschaftung eines Gebiets" im Sinne der Richtlinie 2004/35 gehörend angesehen werden kann. Das BVerwG bat außerdem um Klarstellung, ob eine solche Tätigkeit als "berufliche Tätigkeit" im Sinne der Richtlinie 2004/35 angesehen werden kann, wenn sie aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung im öffentlichen Interesse ausgeübt wird (NVwZ-RR 2019, 640).

EuGH: "Normale Bewirtschaftung" eines Schutzgebiets erfordert Beachtung der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie

In seinem Urteil stellt der EuGH fest, dass der Begriff "normale Bewirtschaftung eines Gebiets" dahin zu verstehen ist, dass er jede Maßnahme erfasst, die eine gute Verwaltung beziehungsweise Organisation der Gebiete, in denen geschützte Arten oder natürliche Lebensräume vorhanden sind, unter anderem im Einklang mit der allgemein anerkannten landwirtschaftlichen Praxis ermöglicht. Somit könne die Bewirtschaftung eines Gebiets, in dem geschützte Arten und natürliche Lebensräume im Sinne der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie vorhanden sind, nur dann als "normal" angesehen werden, wenn sie die Ziele und Verpflichtungen, die in diesen Richtlinien vorgesehen sind, und insbesondere sämtliche Bewirtschaftungsmaßnahmen achtet, die die Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie ergreifen, wie diejenigen, die in den Aufzeichnungen über den Lebensraum und den Dokumenten über die Erhaltungsziele gemäß Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 enthalten sind. Unter diesen Umständen könne die normale Bewirtschaftung eines Gebiets unter anderem landwirtschaftliche Tätigkeiten, die in dem Gebiet ausgeübt werden, einschließlich ihrer notwendigen Ergänzungen wie die die Be- und Entwässerung und damit den Betrieb eines Schöpfwerks, umfassen.

Beurteilung einer Bewirtschaftungsmaßnahme als "normal" hat Ziele der Richtlinien zu berücksichtigen

Des Weiteren stellt der EuGH klar, dass ein Gericht, das aufgerufen ist, zu beurteilen, ob eine Bewirtschaftungsmaßnahme normal ist oder nicht, die Bewirtschaftungsdokumente zu diesem Gebiet, sollten diese keine ausreichenden Angaben enthalten, unter Bezugnahme auf die in der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie festgelegten Ziele und Verpflichtungen sowie mit Hilfe von Vorschriften des innerstaatlichen Rechts, die zur Umsetzung dieser Richtlinien erlassen wurden oder mit dem Sinn und Zweck dieser Richtlinien in Einklang stehen, beurteilen kann.

Auch frühere Bewirtschaftungsweise kann entscheidend sein

Der EuGH hat außerdem darauf hingewiesen, dass sich nach Anhang I Abs. 3 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 2004/35 die normale Bewirtschaftung eines Gebiets auch aus einer früheren Bewirtschaftungsweise der jeweiligen Eigentümer oder Betreiber ergeben kann. Unter diese Regel fielen Bewirtschaftungsmaßnahmen, die zum Zeitpunkt des Schadenseintritts über einen hinreichend langen Zeitraum praktiziert wurden sowie allgemein anerkannt sind und feststehen, um als für das betreffende Gebiet üblich angesehen werden zu können, allerdings unter dem Vorbehalt, dass sie die Erfüllung der in der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie vorgesehenen Ziele und Verpflichtungen nicht in Frage stellen.

"Berufliche Tätigkeit" muss keinen Markt- oder Wettbewerbscharakter haben

Die Frage, ob eine von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts aufgrund gesetzlicher Aufgabenübertragung im öffentlichen Interesse ausgeübte Tätigkeit wie der Betrieb eines Schöpfwerks zur Entwässerung landwirtschaftlicher Flächen eine "berufliche Tätigkeit" im Sinne der Richtlinie 2004/35 darstellen kann, beantwortet der EuGH dahin, dass dieser Ausdruck sämtliche in einem beruflichen Rahmen – im Gegensatz zu einem rein persönlichen oder häuslichen Rahmen – ausgeübten Tätigkeiten erfasst, unabhängig davon, ob diese Tätigkeiten einen Bezug zum Markt oder Wettbewerbscharakter haben.

EuGH, Urteil vom 09.07.2020 - C-297/19

Redaktion beck-aktuell, 9. Juli 2020.