Grundsätzlich kein Ausschluss von Barzahlungen
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Gläubiger von Geldforderungen sind nach dem Unionsrecht grundsätzlich verpflichtet, Euro-Bargeld anzunehmen – mit zwei Ausnahmen. Diese Auffassung vertritt der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof Giovanni Pitruzzella in seinen Schlussanträgen vom 29.09.2020. Im zugrunde liegenden Fall geht es um den Bargeldausschluss bei der Zahlung von Rundfunkbeiträgen. Pitruzzella äußerte Zweifel an der Beitragssatzung der Rundfunkanstalt. Ob der Ausschluss aber ausnahmsweise zulässig sei, müsse das Bundesverwaltungsgericht prüfen.

Hessischer Rundfunk lehnt Annahme des Rundfunkbeitrags in bar ab

Zwei Hessen wollten den Rundfunkbeitrag in bar bezahlen. Der Hessische Rundfunk lehnte dies ab und versandte Festsetzungsbescheide. Er berief sich auf seine Rundfunkbeitragssatzung, die eine Barzahlung ausschließt. Die beiden Beitragspflichtigen fochten diese Bescheide an. Der Rechtsstreit kam vor das BVerwG. Dort haben die Hessen vorgetragen, sowohl das nationale Recht als auch das Unionsrecht sähen eine unbedingte und unbeschränkte Pflicht zur Annahme von Euro-Banknoten als Mittel für die Begleichung von Geldschulden vor. Diese Pflicht könne nur durch vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien oder aufgrund einer bundesgesetzlichen oder unionsrechtlichen Ermächtigung eingeschränkt werden. Gründe der Praktikabilität bei Zahlungen einer großen Zahl Beitragspflichtiger ("Massenverfahren") könnten den Ausschluss der Bargeldzahlung nicht rechtfertigen.

BVerwG: Ausschluss der Barzahlung mit Unionsrecht vereinbar?

Nach Ansicht des BVerwG verstößt der in der Beitragssatzung des Hessischen Rundfunks geregelte Ausschluss der Barzahlungsmöglichkeit gegen § 14 BBankG, der vorsehe, dass Euro-Banknoten das einzige "unbeschränkte" gesetzliche Zahlungsmittel sind. Es möchte jedoch wissen, ob diese Bestimmung des BBankG mit der ausschließlichen Zuständigkeit der Union für die Währungspolitik in Einklang steht. Ferner möchte das BVerwG wissen, ob das Unionsrecht nicht ein Verbot für öffentliche Stellen der Mitgliedstaaten enthält, die Erfüllung einer hoheitlich auferlegten Geldleistungspflicht mit Euro-Banknoten abzulehnen.

EuGH-Generalanwalt zu ausschließlicher Zuständigkeit für Währungspolitik

Laut Generalanwalt beschränkt sich die der Union zugewiesene ausschließliche Zuständigkeit für die Währungspolitik nicht auf die Festlegung und Durchführung einer Währungspolitik in operativer Hinsicht (Geldpolitik im engeren Sinne), sondern umfasse auch alle Zuständigkeiten und Befugnisse, die für die Schaffung und das reibungslose Funktionieren der einheitlichen Währung, des Euro, erforderlich seien. Dies umfasse eine normative Dimension, die die Festlegung und Regelung des Status und der Eigenschaft der einheitlichen Währung und insbesondere der Euro-Banknoten und -Münzen einschließe. Daraus folge, dass eine von einem Euro-Mitgliedstaat erlassene Vorschrift des nationalen Rechts, die aufgrund ihres Zieles und Inhalts die den Euro-Banknoten zukommende Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels regele, in die ausschließliche Zuständigkeit der Union eingreife und daher mit dem Unionsrecht unvereinbar sei.

EU-Staaten können Modalitäten der Erfüllung von Geldleistungspflichten regeln

Der Generalanwalt stellt jedoch klar, dass die ausschließliche Zuständigkeit der Union für die einheitliche Währung nicht so weit gehe, dass sie eine allgemeine Zuständigkeit zur Regelung der Modalitäten der Erfüllung privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Geldleistungspflichten umfasst. Demzufolge dürfe ein Mitgliedstaat nationale Rechtsvorschriften erlassen, die aufgrund ihres Zieles und ihres Inhalts keine Regelung der den Euro-Banknoten zukommenden Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels darstellten, sondern eine Regelung der Organisation und Funktionsweise der öffentlichen Verwaltung, die diese verpflichte, Barzahlungen der Bürger anzunehmen.

Pitruzzella sieht Verstoß gegen ausschließliche Zuständigkeit

Es sei es Sache des BVerwG zu prüfen, ob § 14 BBankG eine Regelung darstelle, die aufgrund ihres Zieles und Inhalts eine Regelung der den Euro-Banknoten zukommenden Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels einführe. Nach dem Eindruck des Generalanwalts soll § 14 BBankG den unionsrechtlichen Begriff der den Banknoten zukommenden Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels ergänzen. Sollte dies der Fall sein, wäre davon auszugehen, dass § 14 BBankG die den Euro-Banknoten zukommende Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels regle und damit in die ausschließliche Zuständigkeit der Union für die Währungspolitik eingreife, sodass sie nicht anzuwenden sei.

Unionsrecht verpflichtet grundsätzlich zur Bargeldannahme - mit zwei Ausnahmen

Der unionsrechtliche Begriff der Euro-Banknoten zukommenden Eigenschaft als gesetzliches Zahlungsmittel sei mangels einer Legaldefinition durch Auslegung zu ermitteln. Laut Pitruzzella ist er so zu verstehen, dass der Gläubiger einer Zahlungsverpflichtung grundsätzlich verpflichtet ist, Banknoten anzunehmen. Davon gebe es aber zwei Ausnahmen: Zum einen, wenn die Vertragsparteien in Ausübung ihrer Privatautonomie andere Zahlungsmittel als Bargeld vereinbart hätten. Und zum  anderen, wenn die Union oder ein Euro-Mitgliedstaat in Ausübung ihrer eigenen Zuständigkeiten außerhalb der Währungspolitik Rechtsvorschriften erlassen hätten, die aufgrund ihres Zieles und Inhalts keine Regelung der  Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels darstellten, sondern für die Verfolgung von Gründen des öffentlichen Interesses Begrenzungen für die Verwendung von Euro-Banknoten als Zahlungsmittel vorsähen.

Anforderungen an Beschränkungen der Barzahlung

Solche Beschränkungen seien jedoch nur dann mit dem unionsrechtlichen Begriff der Euro-Banknoten zukommenden Eigenschaft als gesetzliches Zahlungsmittel vereinbar, wenn sie nicht de iure oder de facto zur vollständigen Abschaffung der Euro-Banknoten führten, wenn sie aus Gründen des öffentlichen Interesses beschlossen würden und wenn andere rechtliche Mittel für die Begleichung von Geldschulden bestünden. Sie müssten zudem verhältnismäßig sein. Sie müssten daher geeignet sein, das verfolgte Ziel des öffentlichen Interesses zu erreichen, und dürften nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich sei.

Bargeldloses Zahlen für einkommensschwache Menschen nicht immer zugänglich

Der Generalanwalt stellt ferner fest, dass die EU zwar nicht in allen Fällen ein absolutes Recht auf Barzahlung vorsehe, doch der dem Bargeld zuerkannte Wert, gesetzliches Zahlungsmittel zu sein, eine unmittelbare Verbindung zur Ausübung von Grundrechten in den Fällen haben könne, in denen die Verwendung von Bargeld ein Element sozialer Eingliederung sei. Denn die Verwendung von Währung in einer anderen Form als der physischen des Bargeldes setze gegenwärtig die Verwendung grundlegender Finanzdienstleistungen voraus, zu denen eine nicht unbedeutende Zahl von Personen noch keinen Zugang habe. Für diese schutzbedürftigen Personen sei Bargeld die einzige zugängliche Form von Währung und damit das einzige Mittel zur Ausübung ihrer Grundrechte, die mit der Verwendung von Geld verbunden seien.

Funktion sozialer Eingliederung von Bargeld bei Beschränkungen zu berücksichtigen

Maßnahmen, die die Verwendung von Bargeld als Zahlungsmittel beschränkten, müssten deshalb die Funktion sozialer Eingliederung berücksichtigen, die Bargeld für solche schutzbedürftigen Personen erfülle, und gewährleisten, dass tatsächlich andere rechtliche Mittel für die Begleichung von Geldschulden bestünden. Es bestehe eine Pflicht, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet seien, es schutzbedürftigen Personen ohne Zugang zu grundlegenden Finanzdienstleistungen zu ermöglichen, ihre Verpflichtungen, insbesondere die öffentlich-rechtlicher Art, ohne zusätzliche Belastungen zu erfüllen.

Pitruzzella äußert Bedenken gegen Rundfunkbeitragssatzung

Es sei jedoch Sache des vorlegenden BVerwG zu prüfen, ob die Beitragssatzung des Hessischen Rundfunks, die Begrenzungen für Zahlungen in Banknoten vorsehe, mit dem Unionsrecht und mit der den Euro-Banknoten zukommenden Eigenschaft als gesetzliches Zahlungsmittel vereinbar ist. Insoweit stellt der Generalanwalt fest, dass die Maßnahme für die Zahlung des Rundfunkbeitrags offenbar einen absoluten und ausnahmslosen Ausschluss von Euro-Banknoten vorsehe, ohne dass die Funktion sozialer Eingliederung, die Bargeld für die erwähnten schutzbedürftigen Personen erfülle, berücksichtigt worden sei.

Digitale Zentralbank-Währung als gesetzliches Zahlungsmittel möglich

Schließlich lasse sich weder aus der Vorschrift des AEUV, mit der die Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels zu einem Begriff des Primärrechts gemacht werde, noch aus einer anderen Unionsrechtsvorschrift ableiten, dass der EU-Verfassungsgesetzgeber beabsichtigt habe, die Möglichkeit der Union auszuschließen, parallel zu Euro-Banknoten und Euro-Münzen anderen, nicht notwendigerweise körperlichen Formen von Währung den Wert eines gesetzlichen Zahlungsmittels zu verleihen, wie etwa einer digitalen Währung (Central Bank Digital Currency).

EuGH, Schlussanträge vom 29.09.2020 - C-422/19

Redaktion beck-aktuell, 29. September 2020.