EuGH-Generalanwalt: EuG muss in Verfahren um Smartcard-Chips-Kartell erneut entscheiden

Das Gericht der Europäischen Union hat im Zusammenhang mit dem Kartell auf dem Markt für Smartcard-Chips nicht alle Faktoren berücksichtigt, die für die Beurteilung der Schwere des Infineon zur Last gelegten Verhaltens von Bedeutung sind. Es ist damit nicht auf alle von diesem Unternehmen vorgebrachten Argumente für eine Aufhebung oder Herabsetzung der Geldbuße hinreichend eingegangen. Dies ist die Auffassung des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs Melchior Wathelet. Er schlägt dem EuGH in seinen Schlussanträgen vom 12.04.2018 vor, das Urteil des Gerichts gegen Infineon Technologies aufzuheben und die Rechtssache zurückzuverweisen, damit das EuG sämtliche betroffenen Kontakte prüfen und daraus die erforderlichen Schlüsse ziehen kann (Az.: C-99/17).

Streit um Geldbußen in Höhe von insgesamt rund 138 Millionen Euro

Mit Beschluss vom 03.09.2014 verhängte die Europäische Kommission gegen vier Unternehmen (Infineon Technologies, Philips, Samsung und Renesas) Geldbußen in Höhe von insgesamt rund 138 Millionen Euro wegen abgestimmten Verhaltens auf dem Markt für Smartcard-Chips im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) in der Zeit von 2003 bis 2005. Das Kartell stützte sich auf ein Netz bilateraler Kontakte und den Austausch sensibler Geschäftsdaten zwischen den Unternehmen, unter anderem in Bezug auf die Preise. Die Kommission verhängte insbesondere eine Geldbuße in Höhe von 82.784.000 Euro gegen Infineon und in Höhe von 20.148.000 Euro gegen Philips.

Rechtsmittel beim EuGH eingelegt

Infineon und Philips stellten das Bestehen des Kartells in Abrede und beanstandeten die Höhe der Geldbuße; deshalb erhoben sie beim EuG Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission, was dieses mit Urteilen vom 15.12.2016 (NZKart 2017, 28 und NZKart 2017, 32) ablehnte. Die beiden Unternehmen legten daraufhin Rechtsmittel beim EuGH ein, mit denen sie die Aufhebung dieser Urteile beantragen. Die vorliegenden Schlussanträge beziehen sich nur auf das von Infineon eingelegte Rechtsmittel und konzentrieren sich im Wesentlichen auf einen der von diesem Unternehmen vor dem Gerichtshof vorgebrachten Rechtsmittelgründe. Über das von Philips eingelegte Rechtsmittel (Az.: C-98/17 P) wird zu einem späteren Zeitpunkt ohne Schlussanträge entschieden werden.

Nur fünf der elf bilateralen Kontakte geprüft

Nach Auffassung Wathelets muss das EuG im Fall Infineon erneut entscheiden. Der Generalanwalt bestätigte das Vorbringen des Unternehmens, wonach das Gericht in seinem Urteil nicht jedes Argument geprüft habe, das Infineon als Beleg für die Rechtmäßigkeit der ihr von der Kommission angelasteten bilateralen Kontakte mit den anderen Kartellteilnehmern vorgebracht hat. Das EuG habe nämlich lediglich fünf der elf bilateralen Kontakte von Infineon mit den anderen Kartellteilnehmern geprüft.

Vollständige Prüfung maßgeblich für Höhe der Geldbuße

Nach Auffassung des Generalanwalts habe es zwar keinen Rechtsfehler begangen, als es seine Prüfung auf diese fünf Kontakte beschränkt hat, um das Vorliegen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung festzustellen. Es hätte aber eine vollständige Prüfung aller von Infineon bestrittenen Kontakte durchführen müssen, um festzustellen, ob der Betrag der von der Kommission verhängten Geldbuße der Schwere der Kartellbeteiligung des Unternehmens entsprach. Die Berücksichtigung der elf bilateralen Kontakte hätte das Gericht nämlich dazu veranlassen können, festzustellen, dass sich Infineon nicht an allen Bestandteilen des Kartells beteiligt hat oder dass es eine untergeordnete Rolle im Kartell gespielt hat, und somit die von der Kommission verhängte Geldbuße herabzusetzen.

EuGH, Schlussanträge vom 12.04.2018 - C-99/17

Redaktion beck-aktuell, 13. April 2018.