EuGH-Generalanwalt: Dienstleistungsempfänger darf keine Sicherheitsleistung für mögliche Geldbuße gegen in anderem EU-Staat ansässigen Dienstleistungserbringer auferlegt werden

Einem Dienstleistungsempfänger darf keine Sicherheitsleistung für eine Geldbuße abverlangt werden, die gegen einen Dienstleistungserbringer, der in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Slowenien) ansässig ist, wegen Verstoßes gegen nationales (hier: österreichisches) Arbeitsrecht verhängt werden könnte. Dies verstieße nach Ansicht des Generalanwalts beim Gerichtshof der Europäischen Union Nils Wahl gegen EU-Recht (Schlussanträge vom 08.05.2018, Az.: C-33/17).

Slowenisches Unternehmen erbringt durch entsandte Arbeitnehmer Bauleistungen in Österreich

Cepelnik ist eine in Slowenien ansässige Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Sie erbrachte an den Beklagten des Ausgangsverfahrens Baudienstleistungen im Wert von 12.000 Euro. Die Dienstleistungen wurden durch entsandte Arbeitnehmer an einem dem Ausgangsbeklagten gehörenden Haus in Österreich nahe der Grenze zu Slowenien erbracht. Der Ausgangsbeklagte leistete eine Vorauszahlung in Höhe von 7.000 Euro an Cepelnik.

Österreichische Finanzpolizei stellt arbeitsrechtliche Verstöße fest

2016 führte die österreichische Finanzpolizei auf der Baustelle eine Kontrolle durch und legte Cepelnik zwei Verwaltungsübertretungen zur Last. Erstens habe Cepelnik für zwei entsandte Arbeitnehmer den Arbeitsbeginn nicht ordnungsgemäß nach dem österreichischen Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG) gemeldet. Zweitens habe sie die Lohnunterlagen für vier entsandte Arbeitnehmer nicht in deutscher Sprache bereitgehalten.

Bauleistungsempfänger muss Sicherheit für mögliche Geldbuße gegen Bauunternehmen leisten 

Unmittelbar im Anschluss an die Kontrolle erlegte die Finanzpolizei dem Ausgangsbeklagten einen Zahlungsstopp auf und beantragte bei der zuständigen Behörde, ihm eine Sicherheitsleistung aufzuerlegen. Diese Sicherheitsleistung sollte eine Geldbuße sichern, die möglicherweise in dem Verfahren verhängt würde, das wegen des Ergebnisses der Kontrolle gegen Cepelnik eingeleitet werden sollte. Die Finanzpolizei beantragte, die Sicherheit in Höhe des ausstehenden Werklohns (5.200 Euro) festzusetzen. Die zuständige Behörde ordnete die beantragte Sicherheitsleistung mit der Begründung an, aufgrund des Sitzes des Dienstleistungserbringers in Slowenien sei anzunehmen, dass die Strafverfolgung und Strafvollstreckung wesentlich erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht wird. Der Ausgangsbeklagte leistete die Sicherheit.

Bauunternehmen mit Geldstrafen sanktioniert

Gegen Cepelnik wurde ein Verfahren wegen der ihr zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen eingeleitet. Mit Straferkenntnissen vom Oktober 2016 wurden gegen Cepelnik Geldstrafen in Höhe von 1.000 Euro und von 800 Euro verhängt, weil das Unternehmen gegen das AVRAG verstoßen habe.

Bauunternehmen klagt gegen Bauleistungsempfänger auf restlichen Werklohn

Nach Beendigung der Arbeiten stellte Cepelnik dem Ausgangsbeklagten als ausstehenden Werklohn 5.000 Euro in Rechnung. Der Ausgangsbeklagte verweigerte die Zahlung und machte geltend, den ausstehenden Werklohn entsprechend der Verwaltungsentscheidung an die Behörde gezahlt zu haben. Cepelnik erhob daraufhin Klage gegen den Ausgangsbeklagten, um den ausstehenden Werklohn zu erhalten.

Österreichisches Vorlagegericht: Sicherheitsleistung für mögliche Geldbuße mit EU-Recht vereinbar?

Das österreichische Vorlagegericht vom EuGH wissen, ob das Unionsrecht es einem Mitgliedstaat verbiete, einen Zahlungstopp und die Bezahlung einer Sicherheitsleistung in der Höhe des ausstehenden Werklohnes gegen einen inländischen Auftraggeber zu verhängen, wenn der Zahlungsstopp und die Sicherheitsleistung allein der Sicherung einer Geldbuße dienten, die erst in einem gesonderten Verfahren gegen einen Dienstleistungserbringer mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat verhängt werden solle.

EuGH-Generalanwalt: Dienstleistungsrichtlinie anwendbar – Arbeitsrechtsausnahme greift nicht

Nach Ansicht des Generalanwalts Wahl ist im vorliegenden Fall die Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG einschlägig. Die fragliche Maßnahme falle nicht unter die in der Richtlinie vorgesehene Ausnahme für das Arbeitsrecht. Sie werde nicht gegen die Person verhängt, der ein Verstoß zur Last gelegt werde, sondern gegen deren Vertragspartner. Sie gehöre nicht zum "Arbeitsrecht", ihr gesetzlicher Zweck bestehe vielmehr darin, zum Vorteil des Fiskus die Vollstreckung möglicher künftiger Sanktionen der Behörden gegen einen Dienstleistungserbringer sicherzustellen.  

Dienstleistungsfreiheit wird beschränkt

Weiter führt Wahl aus, dass die Maßnahme eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstelle, die nach der Dienstleistungsrichtlinie grundsätzlich verboten sei. Unabhängig davon, ob die Maßnahme diskriminierend sei oder nicht, sei sie ihrer Natur nach geeignet, einerseits österreichische Kunden davon abzuhalten, Dienstleistungen von im Ausland ansässigen Anbietern in Anspruch zu nehmen, und andererseits in anderen Mitgliedstaaten ansässige Dienstleistungserbringer davon abzuhalten, ihre Dienstleistungen vorübergehend in Österreich anzubieten.

Von Dienstleistungsempfänger zu leistende Sicherheit nicht gerechtfertigt

Eine solche Maßnahme ist laut Wahl auch nicht gerechtfertigt. Nationale Maßnahmen zur Beschränkung der Rechte von Dienstleistungserbringern könnten grundsätzlich nur unter bestimmten, in der Dienstleistungsrichtlinie genannten Bedingungen gerechtfertigt sein. Nationale Maßnahmen zur Beschränkung der Rechte von Dienstleistungsempfängern seien grundsätzlich nicht gerechtfertigt. Daher sei eine solche Maßnahme unvereinbar mit der Dienstleistungsrichtlinie.

Pflicht zu Sicherheitsleistung wäre auch bei Prüfung an Maßstab des Art. 56 AEUV unionsrechtswidrig

Nach Wahls Auffassung wäre eine solche Maßnahme auch dann als unionsrechtswidrig zu beurteilen, wenn der EuGH die Dienstleistungsrichtlinie für nicht einschlägig halten und deshalb die Vereinbarkeit der Maßnahme mit Art. 56 AEUV prüfen sollte. Denn eine Beschränkung dieser Freiheit sei nur zulässig, wenn mit ihr ein berechtigtes und mit den Verträgen zu vereinbarendes Ziel verfolgt werde und wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sei. Sie müsse außerdem geeignet sein, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und dürfe nicht über das dafür Erforderliche hinausgehen.

Maßnahme jedenfalls unverhältnismäßig

Die österreichische Regierung habe die Maßnahme mit dem Ziel gerechtfertigt, den nationalen Behörden die Überprüfung und Durchsetzung der Einhaltung von Arbeitsrecht zu ermöglichen, das zum Schutz der Arbeitnehmer und zur Vermeidung von unlauterem Wettbewerb und Sozialdumping erlassen worden sei. Dies sei zwar ein zwingender Grund des Allgemeininteresses, der eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen könne. Allerdings sei fraglich, ob die Maßnahme dieses Ziel tatsächlich und konsequent verfolge. Jedenfalls sei die Maßnahme unverhältnismäßig, da sie über das hinausgehe, was zur Erreichung des Ziels erforderlich sei.

EuGH, Schlussanträge vom 08.05.2018 - C-33/17

Redaktion beck-aktuell, 9. Mai 2018.