EuGH-Generalanwalt: Ausschluss verheirateter Transgender-Person von staatlicher Rente europarechtswidrig

Nach Auffassung von Generalanwalt Bobek darf der Anspruch auf eine staatliche Ruhestandsrente für eine Person, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat, nicht davon abhängig gemacht werden, dass sie unverheiratet ist. Eine solche Regelung sei mit der EU-Richtlinie über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen unvereinbar, wie der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof in seinem Schlussantrag vom 05.12.2017 in der Rechtssache C-451/16 dargelegt hat.

Transgender-Klägerin will als Mann geschlossene Ehe nicht aufgeben

Die 1948 als männlich geborene und mit entsprechendem Geschlecht personenstandsrechtlich eingetragene britische Klägerin heiratete 1974 eine Frau. Im Jahr 1995 unterzog sie sich einer operativen Geschlechtsumwandlung, beantragte jedoch keine vollständige Bescheinigung über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit, da sie nach damaligem britischen Recht ihre Ehe (unter dann Gleichgeschlechtlichen) hätte annullieren lassen müssen.

Ruhestandsrente mit 60 wird verwehrt

Im Jahr 2008 vollendete die Betroffene das 60. Lebensjahr, was dem Rentenalter für vor dem 06.04.1950 geborene Frauen entsprach (bei Männern 65 Jahre). Sie beantragte die staatliche Ruhestandsrente. Ihr Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass sie mangels einer vollständigen Bescheinigung über die Anerkennung der Geschlechtszugehörigkeit für die Bestimmung des Rentenalters nicht als Frau behandelt werden könne. Gegen diesen Bescheid erhob die Betroffene Klage.

Rechtslage in Großbritannien

Als die Betroffene Klage bei den nationalen Gerichten erhob, wurde in Großbritannien das erworbene Geschlecht einer Transgender-Person für die Bestimmung des Rentenalters für eine staatliche Rente jedoch nicht anerkannt, wenn diese Person Partei in einer bestehenden Ehe war und blieb. Der Supreme Court of the United Kingdom (Oberster Gerichtshof des Vereinigten Königreichs) möchte vom Gerichtshof wissen, ob diese Rechtslage mit der Richtlinie vereinbar ist. Die Betroffene machte geltend, die Voraussetzung unverheiratet zu sein, stelle eine rechtswidrige Diskriminierung dar, die gegen das Unionsrecht verstoße.

Generalanwalt hält Regelung für unionsrechtswidrig

Der Generalanwalt ist in seinen Schlussanträgen zu dem Ergebnis gekommen, dass das nur für Transgender-Personen geltende Erfordernis, unverheiratet zu sein, um Zugang zu einer staatlichen Ruhestandsrente zu haben, gegen die Richtlinie verstößt. Dies stelle eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar, die nicht sachlich gerechtfertigt werden könne. Das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts umfasse dabei auch die Diskriminierung aufgrund einer Geschlechtsumwandlung. Die Diskriminierung bestehe insbesondere darin, dass die Vergleichsgruppe der Cisgender-Frauen die verlangten Voraussetzungen für die Ruhestandsleistungen nicht aufweisen müssten. Für Cisgender-Personen sei der Zugang zu einer staatlichen Ruhestandsrente unabhängig vom Ehestand.

Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts nicht gerechtfertigt

Diese Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts sei nicht gerechtfertigt. Die Abweichung, die es den Mitgliedstaaten gestatte, ein für Männer und Frauen unterschiedliches Rentenalter für die Ruhestandsrente beizubehalten, berechtige nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung zwischen Transgender-Personen und jenen Personen, deren Geschlecht nicht aus einer Geschlechtsumwandlung resultiere. Es scheine, dass das eigentliche Problem im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Anerkennung der Geschlechtsumwandlung im Gegensatz zu den Voraussetzungen für den Zugang zu einer staatlichen Ruhestandsrente seien. Zwar sei es Sache der Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen für die rechtliche Anerkennung der Geschlechtsumwandlung einer Person festzulegen. Darum gehe es aber hierbei nicht. Geregelt werde die unmittelbare Voraussetzung für den Zugang zu einer staatlichen Ruhestandsrente.

Mitgliedstaaten dürfen keine Diskriminierung "durch die Hintertür" herbeiführen

Eine andere Sichtweise würde dazu führen, dass der Anwendungsbereich des Unionsrechts betreffend das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts vollständig von den verschiedenen auf nationaler Ebene festgesetzten Voraussetzungen abhinge, was letztlich zu einer Diskriminierung “durch die Hintertür“ führen könnte. Die Mitgliedstaaten hätten bei der Ausübung ihrer Zuständigkeiten stets das Unionsrecht zu beachten, insbesondere die Bestimmungen in Bezug auf den Grundsatz der Nichtdiskriminierung. Dies bedeute aber nicht, dass Mitgliedstaaten verpflichtet wären, gleichgeschlechtliche Ehen anzuerkennen. Tatsächlich müssten die Mitgliedstaaten nur den Zugang zu der fraglichen Leistung von dieser besonderen Voraussetzung, unverheiratet zu sein, unabhängig machen. Es stehe den Mitgliedstaaten frei, ob sie gleichgeschlechtliche Ehen erlaubten.

EuGH, Schlussanträge vom 05.12.2017 - C-451/16

Redaktion beck-aktuell, 5. Dezember 2017.