EuGH: EU muss keinen Schadensersatz für Bankbürgschaftskosten wegen überlanger Verfahrensdauer vor EuG zahlen

Die Europäische Union haftet wegen einer überlangen Verfahrensdauer vor dem Gericht der Europäischen Union nicht für Kosten, die Unternehmen entstanden sind, weil sie zur Absicherung von Geldbußen freiwillig eine Bankbürgschaft zugunsten der Kommission gestellt und diese auch dann noch aufrechterhalten haben, als es für sie offensichtlich war, dass das Verfahren gegen diese Geldbußen vor dem EuG übermäßig lang dauern würde. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteilen vom 13.12.2018 entschieden und eine Verpflichtung der EU zum Ersatz von Bankbürgschaftskosten aufgehoben (Az.: C-138/17 P, C-146/17 P, C-150/17 P, C-174/17 P, C-222/17 P).

EuGH stellte überlange Verfahrensdauer vor dem EuG fest

Im Februar 2006 klagten Gascogne Sack Deutschland (ehemals Sachsa Verpackung) und Gascogne (ehemals Group Gascogne), Kendrion, ASPLA und Armando Álvarez beim EuG Union auf Nichtigerklärung einer Entscheidung, die die Kommission ihnen gegenüber in Bezug auf ein Industrieplastiksäcke-Kartell erlassen hatte. Im Jahr 2011 wies das Gericht diese Klagen ab. Im Rechtsmittelverfahren bestätigte der EuGH 2013 die Urteile des Gerichts und damit auch die gegen diese Unternehmen verhängten Geldbußen. Allerdings stellte er fest, dass die Dauer der Verfahren vor dem Gericht übermäßig lang gewesen sei, so dass die betroffenen Unternehmen Schadensersatzklagen einreichen könnten, um eine Entschädigung für mögliche, durch die langsame Bearbeitung der Rechtssachen entstandene Schäden zu erhalten.

EuG verurteilt EU zum Ersatz von Bankbürgschaftskosten

In den Jahren 2014 und 2015 klagten sämtliche betroffenen Unternehmen beim Gericht gegen die EU auf Ersatz des Schadens, der ihnen infolge der Dauer der Verfahren vor dem Gericht entstanden sein soll. Im Jahr 2017 verurteilte das Gericht die EU zum Schadensersatz. Die Unternehmen hätten länger als ursprünglich vorgesehen eine Bankbürgschaft aufrechterhalten müssen, die sie der Kommission zur Sicherung der künftigen Zahlung der Kartellbußen gestellt hätten, und dadurch einen materiellen Schaden erlitten. Außerdem hätten sie aufgrund der Ungewissheit wegen der Verzögerung der Entscheidungen des Gerichts immaterielle Schäden erlitten. Die EU und die betroffenen Unternehmen mit Ausnahme von Kendrion legten Rechtsmittel gegen die Urteile des Gerichts ein.

EuGH: EU haftet nicht für Bankbürgschaftskosten

Der EuGH hat die angefochtenen Urteile aufgehoben, soweit das Gericht den betroffenen Unternehmen eine Entschädigung für den materiellen Schaden zugesprochenen hat, der auf der Aufrechterhaltung ihrer Bankbürgschaften beruht, und die entsprechenden Schadensersatzanträge der Unternehmen zurückgewiesen. Zwar stelle der Verstoß des Gerichts gegen seine Pflicht, innerhalb einer angemessenen Frist zu entscheiden, einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Unionsrecht dar, der eine finanzielle Haftung der EU begründen könne. Dies setze aber einen Kausalzusammenhang zwischen dem Rechtsverstoß und dem festgestellten Schaden der Unternehmen voraus. An einem solchen Kausalzusammenhang fehle es hinsichtlich der Bankbürgschaftskosten.

Freiwillige Sicherheitsleistung unterbricht Kausalzusammenhang

Der EuGH verweist bezüglich des Kausalzusammenhangs auf seine Rechtsprechung (BeckRS 2013, 80420): Verhänge die Kommission eine Geldbuße und gebe die Möglichkeit, bis zur Entscheidung über eine Klage dagegen eine Kaution zur Absicherung der Geldbuße zu stellen, ergebe sich der in den Kautionskosten bestehende Schaden nicht aus dieser Entscheidung, sondern aus der eigenen Entscheidung des Betroffenen, eine Sicherheit zu bestellen, anstatt die Geldbuße sofort zu zahlen. Der Umstand, dass der Betroffene über diese Möglichkeit verfüge, unterbreche den Kausalzusammenhang zwischen dem Rechtsverstoß und dem behaupteten Schaden, so dass das der EU vorgeworfene Verhalten nicht mehr als die entscheidende Ursache für den Schaden angesehen werden könne.

Bankbürgschaften trotz absehbarer Verfahrensüberlänge aufrechterhalten

Das EuG habe in den vorliegenden Fällen daher zu Unrecht angenommen, dass der Kausalzusammenhang durch die Entscheidung der betroffenen Unternehmen, die Geldbuße nicht sofort zu zahlen und eine Bankbürgschaft zu stellen, nicht habe beseitigt worden sein können, so der EuGH. Dieses Ergebnis werde nicht dadurch in Frage gestellt, dass für die Unternehmen die Überschreitung der angemessenen Verfahrensdauer nicht vorhersehbar war, als sie die Bankbürgschaften gestellt hätten. Denn wie die Stellung einer Bankbürgschaft sei auch deren Aufrechterhaltung lediglich eine Option für die betroffenen Unternehmen. Ihnen stehe es somit frei, die von ihnen gestellte Bankbürgschaft jederzeit aufzuheben und die verhängte Geldbuße zu zahlen. Diese Möglichkeit habe aber auch den im vorliegenden Fall betroffenen Unternehmen offen gestanden, als ihnen bewusst geworden sei, dass die Kosten ihrer Bankbürgschaften in Anbetracht des langsamen Fortgangs ihrer Rechtssachen vor dem Gericht höher sein würden als bei der Stellung dieser Bürgschaften vorgesehen.

EuGH, Urteil vom 13.12.2018 - C-138/17

Redaktion beck-aktuell, 13. Dezember 2018.