EuGH: EU für Vorschläge zum Meeresschutz in der Antarktis nicht ausschließlich zuständig

Die Einrichtung von Meeresschutzgebieten in der Antarktis kann der Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis (CAMLR-Kommission) nicht allein im Namen der Union vorgeschlagen werden. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 20.11.2018 entschieden und zwei Nichtigkeitsklagen der Europäischen Kommission abgewiesen. Die Union sei hierfür nur gemeinsam mit den Mitgliedstaaten zuständig (Az.: C-626/15 und C-659/16). 

Antarktis-Vertrag: Zwölf Vertragsparteien haben privilegierten Status

Der am 01.12.1959 unterzeichnete Antarktis-Vertrag ist die Grundlage des Systems von Übereinkommen für die Antarktis. Dieser Vertrag sieht unter anderem vor, dass die Beratenden Vertragsparteien Tagungen abhalten, um Maßnahmen zum Schutz und zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis auszuarbeiten, zu erörtern und zu empfehlen. Von den zwanzig Mitgliedstaaten, die Parteien dieses Vertrags sind, haben nur zwölf den Status von Beratenden Vertragsparteien und als solche die Möglichkeit, an der Beschlussfassung auf diesen Tagungen teilzunehmen.

CAMLR-Kommission durch Übereinkommen von Canberra geschaffen

Die Rechtssachen betreffen Maßnahmen zum Schutz der Meere in der Antarktis und namentlich die Einrichtung mehrerer Meeresschutzgebiete, über die seit einigen Jahren im Rahmen der Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis (im Folgenden: CAMLR-Kommission) diskutiert worden ist. Die CAMLR-Kommission wurde durch das am 20.05.1980 unterzeichnete Übereinkommen über die Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis (Übereinkommen von Canberra) geschaffen. Die Europäische Union sowie zwölf Mitgliedstaaten sind Vertragsparteien des Übereinkommens von Canberra.

Rat sieht geteilte Zuständigkeit für Vorschläge gegenüber CAMLR-Kommission zur Einrichtung von Meeresschutzgebieten gegeben

Der Rat der Europäischen Union hatte zwei Beschlüsse gefasst. Mit dem ersten Beschluss, der in den Schlussfolgerungen des Präsidenten des Ausschusses der Ständigen Vertreter vom 11.09.2015 enthalten ist, wird gebilligt, dass der CAMLR-Kommission im Namen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten ein Diskussionspapier über einen Vorschlag für die Einrichtung eines Meeresschutzgebiets im Weddell-Meer (Antarktische Halbinsel) vorgelegt wird. Mit dem zweiten Beschluss vom 10.10.2016 wird gebilligt, dass der CAMLR-Kommission im Namen der Union und ihrer Mitgliedstaaten drei Vorschläge für die Einrichtung von Meeresschutzgebieten sowie ein Vorschlag für die Einrichtung besonderer Zonen zur Erforschung des betreffenden Meeresraums, des Klimawandels und des Gletscherrückzugs vorgelegt werden.

EU-Kommission: In ausschließliche EU-Zuständigkeit fallende Maßnahme der Gemeinsamen Fischereipolitik

Die Kommission hatte beim Erlass dieser Beschlüsse an ihrer Auffassung festgehalten, dass die betreffenden Maßnahmen in die ausschließliche Zuständigkeit der Union im Bereich der Erhaltung der biologischen Meeresschätze fielen und dass es demzufolge nicht gerechtfertigt sei, sie im Namen der Union und ihrer Mitgliedstaaten vorzulegen. Die Kommission beantragte deshalb beim EuGH, diese beiden Beschlüsse für nichtig zu erklären. Ihrer Auffassung nach fallen das Hauptziel und die Hauptkomponente des Diskussionspapiers und der in Aussicht genommenen Maßnahmen in die der Union nach den Vorschriften des AEUV im Bereich der Erhaltung der biologischen Meeresschätze im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik zustehende ausschließliche Zuständigkeit. Denn sie erstrecke sich auf die Annahme jedes Dokuments oder jeder Maßnahme zur Erhaltung von Meeresschätzen, ungeachtet des verfolgten Ziels.

EuGH: In geteilte Zuständigkeit fallende Maßnahme des Umweltschutzes

Laut EuGH fallen die angefochtenen Beschlüsse nicht unter die ausschließliche Zuständigkeit der Union, sondern unter die grundsätzlich geteilte Zuständigkeit der Union und der Mitgliedstaaten im Bereich des Umweltschutzes, da der Umweltschutz das Hauptziel und die Hauptkomponente des Diskussionspapiers und der in Aussicht genommenen Maßnahmen sei.

Alleinige Ausübung der Außenzuständigkeit durch die EU zwar auch bei geteilter Zuständigkeit möglich

Der EuGH weist darauf hin, dass der bloße Umstand, dass ein Handeln der Union auf der internationalen Bühne unter eine zwischen ihr und den Mitgliedstaaten geteilte Zuständigkeit falle, zwar nicht die Möglichkeit ausschließe, die für die alleinige Ausübung dieser Außenzuständigkeit durch die Union erforderliche Mehrheit im Rat zu erzielen.

Alleinige Ausübung verstieße hier aber gegen Völkerrecht

Die Union muss ihre Zuständigkeiten aber unter Beachtung des Völkerrechts ausüben. Im speziellen Rahmen des Systems von Übereinkommen über die Antarktis wäre es mit dem Völkerrecht unvereinbar, würde die Union die in den vorliegenden Rechtssachen streitige Außenzuständigkeit in einer die Mitgliedstaaten ausschließenden Weise ausüben. Denn würde der Union gestattet, in der CAMLR-Kommission von ihrer Befugnis Gebrauch zu machen, ohne Mitwirkung ihrer Mitgliedstaaten in einem Bereich der geteilten Zuständigkeit tätig zu werden, obwohl einige Mitgliedstaaten im Gegensatz zu ihr auch den Status einer Beratenden Vertragspartei des Antarktis-Vertrags haben, bestünde die Gefahr einer Beeinträchtigung der Verantwortlichkeiten und Vorrechte dieser Mitgliedstaaten. Dies könnte die Kohärenz des Systems von Übereinkommen über die Antarktis schwächen, was letztlich den Bestimmungen des Übereinkommens von Canberra zuwiderliefe.

EuGH, Urteil vom 20.11.2018 - C-626/15

Redaktion beck-aktuell, 20. November 2018.