Drittstaatsangehörige behalten langfristige Aufenthaltsberechtigung in EU auch bei nur kurzer Anwesenheit
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Ein Drittstaatsangehöriger verliert seine Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten auch dann nicht, wenn er während eines Zeitraums von zwölf aufeinander folgenden Monaten nur wenige Tage im Unionsgebiet anwesend ist. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Sei diese Rechtsstellung einmal erlangt, müsse der gewöhnliche Aufenthalt oder der Mittelpunkt der Lebensinteressen nicht im Unionsgebiet liegen.

Verlängerung langfristiger Aufenthaltsberechtigung abgelehnt

Ein kasachischer Staatsangehöriger begehrte die Verlängerung seiner langfristigen Aufenthaltsberechtigung für die EU. Der Landeshauptmann von Wien (Österreich) wies den Antrag ab. Er begründete dies damit, dass der Antragsteller in den fünf Jahren vor Antragsstellung nur wenige Tage pro Jahr im Unionsgebiet gewesen sei. Daher sei davon auszugehen, dass er sich während dieses Zeitraums nicht in diesem Gebiet aufgehalten habe, was zum Verlust dieser Rechtsstellung führe. Der Antragsteller focht den Bescheid an. Das Verwaltungsgericht Wien rief den EuGH an und bat um Auslegung der Richtlinie 2003/109/EG "betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen". Diese sieht vor, dass ein langfristig Aufenthaltsberechtigter diese Rechtsstellung verliert, wenn er sich während eines Zeitraums von zwölf aufeinander folgenden Monaten im Unionsgebiet "nicht aufgehalten" hat. Das VG Wien wollte wissen, ob eine Anwesenheit von insgesamt nur wenigen Tagen in diesem Zeitraum ausreiche, um den Verlust zu verhindern, oder ob die Mitgliedstaaten zusätzliche Voraussetzungen festlegen könnten, etwa dass zumindest während eines Teils des betreffenden Zeitraums der gewöhnliche Aufenthalt oder der Mittelpunkt der Lebensinteressen in diesem Gebiet lag.

EuGH: Anwesenheit von wenigen Tagen zum Erhalt der Rechtsstellung ausreichend

Laut EuGH genügt es für die Verhinderung des Verlusts der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten, dass der Betroffene während des Zeitraums von zwölf aufeinander folgenden Monaten ab Beginn seiner Abwesenheit im Unionsgebiet anwesend ist, auch wenn eine solche Anwesenheit wenige Tage nicht überschreitet. Anders sei dies nur im Missbrauchsfall. Für diese Auslegung sprächen sowohl der Wortlaut und der Zusammenhang der fraglichen Bestimmung als auch das mit der Richtlinie verfolgte Ziel, die Sicherstellung der Integration von Drittstaatsangehörigen, die in den Mitgliedstaaten langfristig und rechtmäßig ansässig seien. Nach Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten nach mindestens fünf Jahren genössen diese Drittstaatsangehörigen unter anderem in Bezug auf allgemeine und berufliche Bildung, soziale Sicherheit, steuerliche Vergünstigungen und den Zugang zu Verfahren für den Erhalt von Wohnraum die gleichen Rechte wie die Unionsbürger.

Gerichtshof stützt Auslegung auf Richtlinienziel 

Dieses Ziel spreche dafür, dass die Drittstaatsangehörigen, die bereits durch die Dauer ihres Aufenthalts im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats ihre Verwurzelung in diesem Mitgliedstaat belegt hätten, grundsätzlich wie die Unionsbürger berechtigt seien, sich auch während längerer Zeiträume außerhalb des Unionsgebiets bewegen und aufhalten, ohne dass dies an sich schon zum Verlust ihrer Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten führe, sofern sie nicht während eines gesamten Zeitraums von zwölf aufeinander folgenden Monaten von diesem Gebiet abwesend seien. Im Übrigen ist die herangezogene Auslegung laut EuGH am ehesten geeignet, den Betroffenen angemessene Rechtssicherheit zu garantieren. Auch der konkrete Zweck der in Rede stehenden Bestimmung spreche für die genannte Auslegung. Denn die Bestimmung betreffe letztlich den Verlust der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten in Situationen, in denen die Verbindung, die der Inhaber dieses Rechts zuvor zum Unionsgebiet unterhielt, gelockert sei. Dies sei gemäß dieser Bestimmung allerdings erst nach einer Abwesenheit von diesem Gebiet während eines Zeitraums von zwölf aufeinander folgenden Monaten der Fall.

EuGH, Urteil vom 20.01.2022 - C-432/20

Redaktion beck-aktuell, 20. Januar 2022.