EuGH begräbt deutsche Pkw-Maut

Die deutsche Pkw-Maut ist nicht mit EU-Recht vereinbar. Dies entschied der Europäische Gerichtshof am 18.06.2019 in Luxemburg. Österreich hatte gegen die deutsche Regelung geklagt, die ein Prestigeprojekt der CSU in der Bundesregierung ist. Die obersten EU-Richter entschieden, dass die Maut EU-Ausländer verbotenerweise wegen ihrer Staatsangehörigkeit benachteiligt. Denn nur inländische Autobesitzer würden über eine geringere Kfz-Steuer für die Belastung durch die Maut entlastet. Sie verstoße zudem gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs im EU-Binnenmarkt.

Deutschland rechtfertigt Pkw-Maut mit Systemwechsel bei Finanzierung der Infrastruktur 

Bereits 2015 hatte Deutschland den rechtlichen Rahmen für die Einführung der Infrastrukturabgabe geschaffen, einer Abgabe für die Benutzung der Bundesfernstraßen einschließlich der Autobahnen durch Personenkraftwagen. Mit dieser meist Pkw-Maut genannten Abgabe möchte Deutschland teilweise von einem System der Steuerfinanzierung zu einem auf das “Benutzerprinzip“ und das “Verursacherprinzip“ gestützten Finanzierungssystem übergehen. Die Erträge dieser Abgabe sollen zur Gänze zur Finanzierung der Straßeninfrastruktur verwendet werden. Ihre Höhe bemisst sich nach Hubraum, Antriebsart und Emissionsklasse des Fahrzeugs. Alle Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen haben die Abgabe in Form einer Jahresvignette mit einem Betrag von höchstens 130 Euro zu entrichten. Für im Ausland zugelassene Fahrzeuge ist die Abgabe (vom Halter oder Fahrer) nur im Fall der Benutzung der Autobahnen zu entrichten. Insoweit ist eine Zehntagesvignette (von 2,50 bis 25 Euro), eine Zweimonatsvignette (von 7 bis 50 Euro) oder eine Jahresvignette (höchstens 130 Euro) verfügbar.

Deutschen Autofahrern soll Mautbelastung von Kfz-Steuer abgezogen werden

Parallel dazu hat Deutschland vorgesehen, dass den Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen ab Erhebung der Infrastrukturabgabe eine Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer in einer Höhe zugutekommt, die mindestens dem Betrag der Abgabe entspricht, die sie entrichten mussten. Österreich ist der Ansicht, dass die kombinierte Wirkung der Infrastrukturabgabe und der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer für in Deutschland zugelassene Fahrzeuge sowie die Modalitäten der Ausgestaltung und des Vollzugs der Infrastrukturabgabe gegen das Unionsrecht, namentlich das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, verstoßen. Nachdem Österreich die Kommission um eine Stellungnahme ersucht hatte, die Kommission sich jedoch innerhalb der dafür vorgesehenen Fristen nicht geäußert hatte, erhob das Land vor dem Gerichtshof eine Vertragsverletzungsklage gegen Deutschland.

EuGH: Pkw-Maut stellt Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar

Der Gerichtshof hat nunmehr entschieden, dass die geplante Pkw-Maut mit der Kraftfahrzeugsteuerentlastung für deutsche Fahrzeughalter, eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit darstellt und gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs verstößt. Die Diskriminierung ergebe sich daraus, dass die wirtschaftliche Last der Abgabe de facto allein auf den Haltern und Fahrern von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen liege, da die Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer zugunsten der Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen zu einer vollständigen Kompensation der Belastung für deutsche Autofahrer führe.

Auswirkung der Umstellung auf Finanzierung der Verkehrs-Infrastruktur unklar

Zwar stehe es den Mitgliedstaaten frei, das System zur Finanzierung ihrer Straßeninfrastruktur zu ändern, indem sie ein System der Steuerfinanzierung durch ein System der Finanzierung durch sämtliche Nutzer einschließlich der Halter und Fahrer von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen, die diese Infrastruktur nutzen, ersetzen, damit alle Nutzer in gerechter und verhältnismäßiger Weise zu dieser Finanzierung beitragen. Jedoch müsse bei einer solchen Änderung auch das Unionsrecht in Gestalt des Diskriminierungsverbots beachtet werden. Deutschland könne sich nicht darauf berufen, die Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer spiegle lediglich den Übergang zur Finanzierung der Straßeninfrastruktur durch alle Nutzer nach dem “Benutzerprinzip" und dem “Verursacherprinzip" wider. Deutschland habe keine näheren Angaben zum Umfang des Beitrags der Steuer zur Finanzierung der Infrastrukturen des Bundes gemacht, sodass in keiner Weise dargetan sei, dass die den Haltern von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen gewährte Steuerentlastung diesen Beitrag nicht übersteige und somit angemessen sei.

Verursacherprinzip gilt nur für ausländische Fahrer

Zudem werde die Infrastrukturabgabe, was die Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen anbelangt, jährlich und ohne die Möglichkeit geschuldet, eine Vignette für einen kürzeren Zeitraum zu wählen, wenn eine solche der Häufigkeit, mit der sie diese Straßen nutzen, besser entspräche. Diese Gesichtspunkte in Verbindung mit der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer in Höhe eines Betrags, der mindestens dem der entrichteten Infrastrukturabgabe entspreche, zeigten, dass der Übergang zu einem Finanzierungssystem, das auf das “Benutzerprinzip“ und das “Verursacherprinzip“ gestützt werde, in Wirklichkeit ausschließlich die Halter und Fahrer von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen betreffe, während für die Halter von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen weiterhin das Steuerfinanzierungsprinzip gelte. Im Übrigen habe Deutschland nicht dargetan, wie die festgestellte Diskriminierung durch Umwelterwägungen oder sonstige Erwägungen gerechtfertigt werden könnte.

Kosten durch Infrastrukturabgabe behindern freien Warenverkehr

Hinsichtlich des freien Warenverkehrs hat der Gerichtshof festgestellt, dass die streitigen Maßnahmen geeignet sind, den Zugang von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten zum deutschen Markt zu behindern. Die Infrastrukturabgabe, der tatsächlich ausschließlich die Fahrzeuge unterlägen, die diese Erzeugnisse beförderten, sei geeignet, die Transportkosten und damit auch die Preise dieser Erzeugnisse zu erhöhen und beeinträchtige damit deren Wettbewerbsfähigkeit.

Dienstleistungsfreiheit ebenfalls beeinträchtigt

Die Pkw-Maut könne außerdem den freien Dienstleistungsverkehr beeinträchtigen. Die Infrastrukturabgabe könne aufgrund der Steuerentlastung bei der Kraftfahrzeugsteuer entweder die Kosten der Dienstleistungen erhöhen, die von ausländischen Dienstleistern in Deutschland erbracht werden oder die Kosten erhöhen, die sich für ausländische Dienstleistungsempfänger daraus ergeben, dass sie sich in diesen Mitgliedstaat begeben, um dort eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen.

Ausgestaltung und Vollzug der Infrastrukturabgabe nicht diskriminierend

Allerdings seien die Modalitäten der Ausgestaltung und des Vollzugs der Infrastrukturabgabe entgegen dem Vorbringen Österreichs nicht als diskriminierend anzusehen. Dabei handele es sich um die stichprobenartige Überwachung, die etwaige Untersagung der Weiterfahrt mit dem betreffenden Fahrzeug, die nachträgliche Erhebung der Infrastrukturabgabe, die mögliche Verhängung eines Bußgelds sowie die Zahlung einer Sicherheitsleistung.

Österreich gegen Deutschland

Dass die Pkw-Maut am Ende beim EuGH landen wird, hatten die meisten erwartet, auch wenn es eine Zeit lang so aussah, als könne Deutschland diesem langwierigen Rechtsstreit entgehen. Die EU-Kommission, die schon mit Klage gedroht hatte, ließ sich 2016 von einem leicht geänderten Modell überzeugen, das der damalige CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt durchbrachte. Österreich sah das aber anders. Das Nachbarland, das selbst auch Maut kassiert, zog vor den EuGH. Bei der Klage wird die Alpenrepublik von den Niederlanden unterstützt, die ebenfalls Bedenken haben. Es handelt sich um einen der seltenen Fälle, in dem ein EU-Staat gegen einen anderen ein Verfahren wegen der Verletzung von EU-Recht eingeleitet hat. 

Maut wurde 2015 beschlossen

Die Mautgesetze in Deutschland sind bereits 2015 beschlossen worden, werden aber bisher nicht angewendet. Die CSU hatte das Projekt in der vorigen großen Koalition durchgesetzt. Als Bedingung wurde aber fixiert, dass kein Inländer zusätzlich belastet werden dürfe. Darauf pochte nicht zuletzt auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die 2013 im TV-Wahlkampfduell gesagt hatte: "Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben." Nach einem Kompromiss mit der EU-Kommission wurden 2017 noch einige Änderungen am Maut-Modell eingefügt.

Start sollte 2020 erfolgen

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) strebte den Start der Maut für Oktober 2020 an. Unterm Strich sollten nach Abzug der Kosten knapp 500 Millionen Euro im Jahr für Straßen-Investitionen übrig bleiben. An diesen Berechnungen gab es aber bis zuletzt Zweifel.

Folgen des Urteils

Der EuGH ist die oberste Instanz in der EU-Rechtssprechung. Nachdem er die Maut hat durchfallen lassen, muss Deutschland sie in dieser Form begraben. Das ist ein Debakel für die CSU, aber auch der Bund bekommt Ärger, weil schon vorab Fakten für die Einführung der Maut geschaffen wurden. Das sind vor allem die Zuschläge für die privaten Betreiber der Maut, von denen Entschädigungsforderungen drohen. Darunter ist übrigens auch der österreichische Mautsystem-Anbieter Kapsch.

EuGH, Urteil vom 18.06.2019 - C-591/17

Redaktion beck-aktuell, 18. Juni 2019 (dpa).