Abgasskandal: Fahrzeugkäufer in anderen EU-Staaten können VW dort verklagen

Vom VW-Abgasskandal betroffene Fahrzeugkäufer können Volkswagen in dem EU-Staat auf Schadensersatz aus Delikt verklagen, in dem sie das Fahrzeug erworben haben. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 09.07.2020 im Fall österreichischer Geschädigter entschieden.

Abgasklage in Österreich gegen VW

In Österreich hat ein Verbraucherverband vor dem Landesgericht Klagenfurt gegen Volkswagen für 574 vom Abgasskandal betroffene Fahrzeugkäufer Klage auf Schadensersatz aus deliktischer und quasideliktischer Haftung erhoben. Da die Fahrzeuge wegen der Manipulation von Anfang an einen Mangel aufgewiesen hätten, seien ihr Marktwert und damit ihr Kaufpreis deutlich niedriger als der tatsächlich gezahlte Preis. Der Unterschiedsbetrag stelle einen ersatzfähigen Schaden dar. Die Volkswagen AG, die ihren Sitz in Wolfsburg (Deutschland) hat, hält die österreichischen Gerichte für international unzuständig.

Österreichisches Gericht befragt EuGH zur internationalen Zuständigkeit

Das Landesgericht Klagenfurt rief den EuGH zur Frage der Zuständigkeit an. Nach der Brüssel-Ia-Verordnung sind grundsätzlich die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz oder Sitz hat. Für den Bereich der deliktischen Haftung sieht die Verordnung aber eine besondere Zuständigkeit des Gerichts des Ortes der Schadensverwirklichung und des Gerichts des Ortes des ursächlichen Schadensgeschehens vor. Das Landesgericht wollte wissen, ob es für die Begründung seiner Zuständigkeit als Gericht des Ortes der Schadensverwirklichung ausreicht, dass die Fahrzeuge in Österreich erworben und ausgeliefert wurden.

EuGH: Ort der Schadensverwirklichung liegt in Österreich

Der EuGH hat dies bejaht. Ein Autohersteller, dessen widerrechtlich manipulierte Fahrzeuge in anderen Mitgliedstaaten verkauft werden, könne vor den Gerichten dieser Staaten verklagt werden. Der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs liege dann dort (hier: Österreich).

Eintritt geltend gemachten Schadens bei Erwerb zu Preis über Wert

Im vorliegenden Fall bestehe der vom Verbraucherverband geltend gemachte Schaden in einer Wertminderung der manipulierten Fahrzeuge, die sich aus der Differenz zwischen dem gezahlten Preis und dessen tatsächlichem Wert aufgrund des Einbaus der Manipulationssoftware ergebe. Obwohl diese Fahrzeuge bereits beim Einbau der Software mit einem Mangel behaftet gewesen seien, habe sich der geltend gemachte Schaden daher erst mit dem Erwerb dieser Fahrzeuge zu einem Preis über Wert verwirklicht. Bei diesem Schaden handele es sich auch weder um einen mittelbaren Schaden des Letzterwerbers noch um einen reinen Vermögensschaden.

Manipulierender Autohersteller muss mit Klagen in anderen EU-Staaten rechnen

Der EuGH unterstreicht zudem, dass ein Autohersteller, der unzulässige Manipulationen an Fahrzeugen vornehme, die in anderen Mitgliedstaaten in den Verkehr gebracht werden, vernünftigerweise erwarten könne, dass er vor den Gerichten dieser Staaten verklagt wird.

EuGH, Urteil vom 09.07.2020 - C-343/19

Redaktion beck-aktuell, 9. Juli 2020.