EU-Kommission muss Deutscher Telekom Entschädigung von 1,8 Millionen Euro zahlen
Lorem Ipsum
© nmann77 / stock.adobe.com

Die Europäische Kommission muss der Deutschen Telekom wegen Verstoßes gegen Art. 266 Abs. 1 AEUV eine Entschädigung in Höhe von etwa 1,8 Millionen Euro zahlen. Dies hat das Gericht der Europäischen Union entschieden. Die Kommission hätte der Telekom, nachdem das EuG eine Geldbuße für einen Wettbewerbsverstoß herabgesetzt hatte, Verzugszinsen auf den zu erstattenden Teil der Geldbuße zahlen müssen.

Kommission verweigerte Verzugszinsen auf zurückgezahlten Geldbußenteil

2014 verhängte die Europäische Kommission gegen die Deutsche Telekom AG eine Geldbuße in Höhe von 31.070.000 Euro wegen Missbrauchs einer beherrschenden Stellung auf dem slowakischen Markt für Breitbandtelekommunikationsdienste. Die Deutsche Telekom erhob  Nichtigkeitsklage, zahlte aber am 16.01.2015 die Geldbuße. Mit Urteil vom 13.12.2018 setzte das EuG die Geldbuße um 12.039.019 Euro herab. Am 19.02.2019 erstattete die Kommission der Deutschen Telekom diesen Betrag. Mit Schreiben vom 28.06.2019 lehnte sie es hingegen ab, der Deutschen Telekom für den Zeitraum von der Zahlung der Geldbuße bis zur Rückzahlung des für rechtsgrundlos befundenen Teils der Geldbuße Verzugszinsen zu zahlen. Dagegen klagte die Deutsche Telekom. Sie begehrte Nichtigerklärung des Beschlusses und Verurteilung der Kommission zur Zahlung einer Entschädigung für den entgangenen Gewinn infolge der Vorenthaltung der Nutzung des Hauptbetrags des rechtsgrundlos gezahlten Teils der Geldbuße im fraglichen Zeitraum. Hilfsweise begehrte sie Ersatz des Schadens, der ihr durch die Weigerung der Kommission, Verzugszinsen auf diesen Betrag zu zahlen, entstanden sei.

EuG: Keine Entschädigung für entgangenen Gewinn

Laut EuG hat die Deutsche Telekom keinen Anspruch aus außervertraglicher Unionshaftung auf eine Entschädigung für entgangenen Gewinn, der ihr durch die Vorenthaltung der Nutzung des rechtsgrundlos gezahlten Teils der Geldbuße im fraglichen Zeitraum entstanden sei und der jährlichen Rendite ihres eingesetzten Kapitals oder ihren gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten entspreche. Die Deutsche Telekom habe keine schlüssigen Beweise dafür vorgelegt, dass der geltend gemachte Schaden tatsächlich und sicher eingetreten ist. Insbesondere habe sie weder nachgewiesen, dass sie den rechtsgrundlos gezahlten Betrag der Geldbuße zwangsläufig in ihre Tätigkeiten investiert hätte, noch, dass die Vorenthaltung der Nutzung dieses Betrags sie dazu veranlasst hat, auf bestimmte konkrete Projekte zu verzichten. In diesem Zusammenhang habe die Deutsche Telekom auch nicht dargetan, dass sie nicht über die erforderlichen Mittel verfügte, um eine Investitionsmöglichkeit zu nutzen.

Entschädigung aber für verweigerte Verzugszinsen

Die Deutsche Telekom habe aber einen Anspruch auf Ersatz des Schadens, der ihr durch die Weigerung der Kommission entstanden sei, ihr Verzugszinsen auf den rechtsgrundlos gezahlten Teil der Betrag der Geldbuße zu zahlen. Die Kommission habe dadurch gegen qualifiziert gegen § 266 Abs. 1 AEUV verstoßen, der vorsehe, dass die Organe, deren Handeln durch ein unionsgerichtliches Urteil für nichtig erklärt wird, alle sich aus diesem Urteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen haben. Laut EuG verleiht Art. 266 Abs. 1 AEUV dem vor dem Unionsgericht erfolgreichen Einzelnen Rechte. Ferner stellten Verzugszinsen einen unerlässlichen Bestandteil der den Organen nach dieser Bestimmung obliegenden Verpflichtung zur Wiederherstellung des vorherigen Standes da. Im Fall der Nichtigerklärung und Herabsetzung einer gegen ein Unternehmen wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln verhängten Geldbuße ergebe sich folglich aus Art. 266 Abs. 1 AEUV eine Verpflichtung der Kommission, den rechtsgrundlos gezahlten Betrag der Geldbuße zuzüglich Verzugszinsen zu erstatten.

Kommission hätte Verzugszinsen zahlen müssen

Da zum einen das anwendbare Haushaltsrecht eine Erstattungsforderung zugunsten des Unternehmens vorsehe, das eine später aufgehobene und herabgesetzte Geldbuße vorläufig gezahlt habe, und zum anderen die Aufhebung und Herabsetzung der Geldbuße durch den Unionsrichter rückwirkend gelte, habe die Forderung der Deutschen Telekom bestanden und sei hinsichtlich ihres Höchstbetrags bestimmt gewesen, als die Geldbuße vorläufig gezahlt worden sei. Die Kommission sei daher nach Art. 266 Abs. 1 AEUV verpflichtet gewesen, Verzugszinsen auf den vom Gericht für rechtsgrundlos befundenen Teil der Geldbuße zu zahlen, und zwar für den gesamten fraglichen Zeitraum. Sinn dieser Verpflichtung sei es, die mit einer objektiven Verspätung zusammenhängende Vorenthaltung eines zu zahlenden Geldbetrags pauschal auszugleichen und die Kommission dazu zu veranlassen, beim Erlass eines Beschlusses, der zur Zahlung einer Geldbuße verpflichtet, besondere Vorsicht walten zu lassen.

Abschreckungsfunktion von Geldbußen steht Verzugszinsen nicht entgegen

Entgegen dem Vorbringen der Kommission stehe die Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen nicht im Widerspruch zur Abschreckungsfunktion von Geldbußen in Wettbewerbssachen, da der Unionsrichter diese Abschreckungsfunktion notwendigerweise berücksichtige, wenn er von seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung Gebrauch macht, um die Höhe einer Geldbuße rückwirkend herabzusetzen. Im Übrigen müsse die Abschreckungsfunktion von Geldbußen mit dem in Art. 47 der EU-Grundrechtecharta verankerten Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes in Einklang gebracht werden, dessen Beachtung durch die Rechtmäßigkeitskontrolle nach Art. 263 AEUV gewährleistet werde, ergänzt um die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung hinsichtlich der Höhe der Geldbuße.

Fehlender Zinsertrag für gezahlte Geldbuße steht Verzugszinsen nicht entgegen

Das Gericht hat auch die weiteren Argumente der Kommission zurückgewiesen. Zum einen sei die Kommission im Anschluss an das Urteil des Gerichts vom 13.12.2018 verpflichtet gewesen, der Klägerin den für rechtsgrundlos befundenen Teil der Geldbuße zuzüglich Verzugszinsen zurückzuzahlen, auch wenn der Betrag der von der Klägerin gezahlten Geldbuße keine Zinsen eingebracht habe, während er im Besitz der Kommission gewesen sei. Art. 90 der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1268/2012, der die Einziehung von Geldbußen betreffe, stehe dem entgegen. Überdies ergebe sich die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen unmittelbar aus Art. 266 Abs. 1 AEUV. Die Kommission sei nicht befugt, mit einer Einzelfallentscheidung die Voraussetzungen festzulegen, unter denen sie im Fall der Nichtigerklärung des Geldbußen-Beschlusses und im Fall der Herabsetzung der Geldbuße Verzugszinsen zahlen werde. Zum anderen handele es sich bei den im vorliegenden Fall geschuldeten Zinsen um Verzugszinsen und nicht um Ausgleichszinsen. Die Hauptforderung der Deutschen Telekom sei nämlich eine Rückzahlungsforderung, die damit zusammengehangen habe, dass die Zahlung einer Geldbuße vorläufig vorgenommen worden war. Diese Forderung habe bestanden und sei hinsichtlich ihres Höchstbetrags bestimmt oder zumindest anhand feststehender objektiver Faktoren bestimmbar gewesen, als die fragliche Zahlung erfolgt sei.

Schaden besteht in Verlust der Verzugszinsen

In Anbetracht der Tatsache, dass die Kommission der Deutschen Telekom den rechtsgrundlos gezahlten Teil der Geldbuße zuzüglich Verzugszinsen habe erstatten müssen und insoweit über keinerlei Ermessen verfügt habe, gelangt das EuG zu dem Ergebnis, dass die Weigerung, diese Zinsen an die Deutsche Telekom zu zahlen, einen qualifizierten Verstoß gegen Art. 266 Abs. 1 AEUV darstellt, der die außervertragliche Haftung der Union auslöst. Angesichts des unmittelbaren Zusammenhangs zwischen dem festgestellten Verstoß und dem Schaden, der im Verlust von Verzugszinsen auf den rechtsgrundlos gezahlten Teil der Geldbuße im fraglichen Zeitraum bestehe, spricht das Gericht der Deutschen Telekom eine Entschädigung in Höhe von 1.750.522,38 Euro zu. Die Berechnung sei durch entsprechende Anwendung des in Art. 83 Abs. 2 Buchst. b der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1268/2012 vorgesehenen Zinssatzes erfolgt, nämlich des von der Europäischen Zentralbank im Januar 2015 für ihre Hauptrefinanzierungsgeschäfte zugrunde gelegten Zinssatzes von 0,05% zuzüglich dreieinhalb Prozentpunkten.

EuG, Urteil vom 19.01.2022 - T-610/19

Redaktion beck-aktuell, 19. Januar 2022.