EU will globale Impfstoff-Versorgung ohne Patentfreigabe verbessern

Zur Versorgung armer Länder mit Corona-Impfstoff setzt die Europäische Union auf den Abbau von Exportschranken und eine höhere Produktion –aber erstmal nicht auf die Freigabe von Patenten. Dies wurde am Wochenende beim EU-Sozialgipfel in Portugal deutlich. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), per Video zugeschaltet, erteilte der Aufweichung von Rechten geistigen Eigentums eine klare Absage. Daneben ging es um soziale Rechte und Indien.

Stärkung sozialer Rechte für die Europäer

Der Vorstoß von US-Präsident Joe Biden zur Patentfreigabe und der weitere Kampf gegen die Corona-Pandemie standen zeitweilig im Mittelpunkt des zweitägigen Gipfels in der Küstenstadt Porto. Eigentliches Thema war jedoch die Stärkung sozialer Rechte für die Europäer, zu der sich die 27 Staaten in einer "Erklärung von Porto" noch einmal ausdrücklich bekannten. Am Samstag berieten die Staats- und Regierungschefs zudem per Video mit dem indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi, vereinbarten den Neuanfang von Handelsgesprächen und sagten Indien Beistand angesichts der dort verheerenden Corona-Lage zu. In dem Land mit mehr als 1,3 Milliarden Einwohnern sterben nach den offiziellen Statistiken aktuell jeden Tag mehr als 4.000 Menschen an dem Virus. Befürchtet wird, dass die tatsächliche Zahl noch viel höher liegt.

Immunisierung der Weltbevölkerung einziger Ausweg aus Pandemie

"Die EU steht in dieser schwierigen Zeit in voller Solidarität an der Seite Indiens", sagte EU-Ratschef Charles Michel. Man habe auch über eine Zusammenarbeit beim Impfen gesprochen. "Covid ist seit Generationen die größte Herausforderung für die globale Solidarität. Der einzige Ausweg ist die Immunisierung der Weltbevölkerung." Bisher sind in ärmeren Ländern jedoch nur sehr wenige Menschen geimpft. Biden hatte sich nun überraschend hinter die Forderung gestellt, Patente zeitweise aufzuheben. Dann könnten weitere Hersteller ohne Lizenzgebühren produzieren. Auch Papst Franziskus sprach sich dafür aus. Dagegen stemmen sich die Pharmafirmen, die die Rechte innehaben. Auch Merkel sagte, das sei nicht die Lösung, um mehr Menschen Impfstoff zur Verfügung zu stellen. "Ich glaube, dass wir die Kreativität und die Innovationskraft der Unternehmen brauchen." Andere EU-Staaten zeigten sich offener. 

EU exportiert und hilft bei Aufbau lokaler Impfstoffanlagen

Doch sieht die EU insgesamt ebenfalls keine "Wunderlösung" in der Patentfreigabe, wie Ratschef Michel sagte. Wichtig sei, Impfstoff-Exporte zuzulassen. Gemeint sind mit diesem Hinweis auch die USA, die ihre heimische Produktion vorrangig selbst behalten. Die EU ist nach eigener Darstellung derzeit die einzige demokratische Region, die im großen Maßstab Corona-Impfstoff ausführt. Von 400 Millionen hier produzierten Dosen sei die Hälfte exportiert worden. Daneben helfe die EU bereits beim Aufbau lokaler Impfstoffanlagen etwa in Afrika, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Eine weitere große Initiative sei geplant. Merkel sagte, zumindest von deutschen Unternehmen würden rasch Lizenzen zur Produktion im Ausland vergeben. Das Problem sei nicht, "dass jemand auf seinem Patent sitzt". Der Mainzer Hersteller Biontech lehnt eine Patentfreigabe ebenfalls ab, bot aber Preisvorteile für arme Länder. Diese würden "zu einem nicht gewinnorientierten Preis" versorgt, versicherte eine Sprecherin. Patente seien "nicht der begrenzende Faktor für die Produktion oder Versorgung mit unserem Impfstoff". Die Herstellung sei komplex. Wenn Anforderungen nicht erfüllt seien, könnten Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit leiden.

EU und Sozialpartner verpflichten sich zu sozialen Zielen für 2030

Die Partner haben sich in einer gemeinsamen Erklärung von Porto zum sozialen Engagement zu den drei Kernzielen für 2030 verpflichtet, die im Aktionsplan der Kommission zur europäischen Säule sozialer Rechte festgelegt sind: Erstens sollen mindestens 78% der 20- bis 64-Jährigen einer Beschäftigung nachgehen. Zweitens sollen mindestens 60% aller Erwachsenen jedes Jahr an einer Weiterbildungsmaßnahme teilnehmen. Und drittens soll die Zahl der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen um mindestens 15 Millionen verringert werden, darunter mindestens 5 Millionen Kinder. Die Erklärung wurde am ersten Tag des Sozialgipfels in Porto von der Präsidentin der Europäischen Kommission, dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, dem portugiesischen Premierminister, der derzeit den Vorsitz im Rat der EU innehat, den europäischen Sozialpartnern und Organisationen der Zivilgesellschaft angenommen. Sie haben sich weiterhin dazu verpflichtet, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um ein inklusiveres und sozialeres Europa aufzubauen. Sie begrüßten den Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte und bekräftigten die Verpflichtung, die darin enthaltenen Grundsätze in konkrete Maßnahmen umzusetzen, um einen starken, fairen und arbeitsplatzintensiven Aufschwung in Gang zu setzen.

Auch EU-Beziehungen zu Russland Thema

In Porto ging es auch erneut um die EU-Beziehungen zu Russland. Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babis forderte nach eigenen Angaben die übrigen EU-Staaten auf, "die Ausweisung von zumindest einem russischen Diplomaten" zu erwägen. Hintergrund: Nach tschechischen Erkenntnissen sollen russische Agenten in die Explosion eines Munitionslagers mit zwei Todesopfern 2014 in Tschechien verwickelt gewesen sein. Moskau bestreitet dies.

Redaktion beck-aktuell, 10. Mai 2021 (dpa).