EU-Kommission will einstweilige Verfügung gegen Polens Justizreform

Im Streit um die Justizreform in Polen fordert die Europäische Kommission den Europäischen Gerichtshof zu einer einstweiligen Verfügung auf. Der EuGH solle die polnische Regierung damit veranlassen, die Arbeit der Disziplinarkammer am Obersten Gericht Polens auszusetzen, teilte EU-Justizkommissar Didier Reynders mit. Den Beschluss habe das Kommissionskollegium bei seiner Sitzung in Straßburg am 14.01.2020 getroffen.

Regierungssprecher betont Einklang mit polnischem Recht

Der polnische Regierungssprecher Piotr Müller sagte, die Disziplinarkammer handele im Einklang mit dem polnischen Recht. Die Regulierung des Justizsystems sei die Domäne der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten und nicht von EU-Vorschriften betroffen.

Richtervereinigung befürchtet "Disziplinierung" der Richterschaft

Am 11.01.2020 hatten in Warschau Tausende Richter, Juristen und andere Bürger gegen Gesetzespläne der dortigen Regierung protestiert, die die Unabhängigkeit polnischer Richter weiter einschränken könnten. Die Richtervereinigung Iustitia befürchtet eine "Disziplinierung" der Richterschaft. Das vom Parlament noch nicht endgültig beschlossene Gesetz soll nach Ansicht der Gegner dazu dienen, Richter zu bestrafen, die sich kritisch über die Justizreformen der rechtskonservativen Regierung äußern. Das Gesetzesvorhaben stehe damit in Widerspruch zu den Grundsätzen der Europäischen Union.

Zusammenhang mit Vertragsverletzungsverfahren

EU-Kommissar Nicolas Schmit sagte in einer Pressekonferenz nach der Kommissionssitzung, die verlangten "einstweiligen Maßnahmen" hingen mit dem Vertragsverletzungsverfahren zusammen, das die Brüsseler Behörde zu den Disziplinierungsregeln für polnische Richter in Gang gesetzt hatte. "Wir bleiben offen für einen konstruktiven Dialog mit Polen auf der Grundlage von Fairness und Respekt", ergänzte Justizkommissar Reynders auf Twitter.

Verhältnis zwischen Brüssel und Warschau schon länger angespannt

Normalerweise äußert die EU-Kommission sich zu Gesetzesvorhaben in diesem Stadium nicht. Allerdings ist das Verhältnis zwischen Brüssel und Warschau schon länger angespannt. Seitdem die polnische Regierungspartei PiS seit 2015 immer neue Justizreformen einleitet, äußerte Brüssel wiederholt Bedenken. Mehrfach hat die Behörde vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt sowie ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge eingeleitet, das Polen theoretisch sein Stimmrechte im Kreis der EU-Länder kosten könnte.

SPD-Europapolitikerin Barley: Polen mit hohen Geldstrafen drohen

Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley, hat sich dafür ausgesprochen, der konservativen Regierung in Warschau mit "empfindlichen Geldstrafen" zu drohen. Die EU-Kommission unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen müsse entschlossen handeln: "Sollte das Gesetz beschlossen werden, muss sie sofort den Europäischen Gerichtshof anrufen und einstweilige Maßnahmen beantragen, damit das Gesetz ausgesetzt wird", sagte die frühere deutsche Justizministerin der "Süddeutschen Zeitung" (Ausgabe vom 15.01.2020). Für den Fall der Missachtung müsse dann "mit empfindlichen Geldstrafen" gedroht werden.

Barley sieht Grundsätze des Gemeinschaftsrechts untergraben

Barley bezeichnete die polnische Justizreform als nicht hinnehmbar. Sie untergrabe Grundsätze des Gemeinschaftsrechts: "Wenn sich europäisches und nationales Recht widersprechen, gilt der Grundsatz, dass Europarecht angewendet werden muss." Im Gesetz, das am 15.01.2020 in Polens zweiter Parlamentskammer, dem Senat, debattiert wird, stehe aber die Formulierung: "Polnische Richter müssen polnisches Recht anwenden." Damit wird polnischen Richtern Barley zufolge de facto verboten, europäisches Recht anzuwenden: "Diesen Angriff auf das Rechtsstaatsprinzip in Polen und der EU müssen wir vereiteln."

Redaktion beck-aktuell, 15. Januar 2020 (dpa).