BVerwG: Passbehörde darf Entwicklungshelferin Ausreise nach Afghanistan wegen drohender Entführung verbieten

Droht einem Passinhaber im Ausland (hier: Afghanistan) konkret eine Entführung und ist mit einer anschließenden Erpressung der Bundesrepublik Deutschland durch die Entführer zu rechnen, kann die Passbehörde den Geltungsbereich seines Passes im Hinblick auf die Ausreise in das betreffende Land beschränken. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 29.05.2019 entschieden und eine Passbeschränkung gegenüber einer Entwicklungshelferin bestätigt (Az.: 6 C 8.18).

Konkrete Hinweise auf geplante Entführung humanitärer Helferin

Die Klägerin ist Vorsitzende eines Vereins, der sich der humanitären Hilfe für Menschen in Afghanistan widmet. Sie plante im Herbst 2016, im Rahmen ihrer Tätigkeit für den Verein in die afghanische Region Kunduz zu reisen. Der Beklagten lagen als zuständiger Passbehörde Informationen des Bundeskriminalamtes und des Bundesnachrichtendienstes vor, die das in Afghanistan und in der Provinz Kunduz für Ausländer bestehende hohe Risiko, Opfer einer Entführung zu werden, sowie die Gefahr einer Erpressung der Herkunftsstaaten der Betroffenen durch die Entführer betrafen. Zudem lagen Hinweise vor, dass konkret die Klägerin dort entführt werden sollte. 

Ausreiseverbot durch Passbeschränkung 

Unter Berufung auf diese Informationen beschränkte die Beklagte den Geltungsbereich des Reisepasses der Klägerin dergestalt, dass dieser nicht zur Ausreise nach Afghanistan berechtige. Wegen der im Fall einer Entführung der Klägerin drohenden erpresserischen Lösegeldforderung gegenüber dem Herkunftsstaat seien sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 PassG gefährdet. Die Beklagte befristete die Beschränkung zunächst auf ein Jahr. Das Verwaltungsgericht Braunschweig gab der gegen den Bescheid gerichteten Anfechtungsklage statt. Auf die Berufung der Beklagten änderte das Oberverwaltungsgericht Lüneburg dieses Urteil und wies die Klage ab. Dagegen legte die Klägerin Revision ein.

BVerwG: Passbeschränkung wegen Gefährdung der außenpolitischen Handlungsfreiheit rechtmäßig

Das BVerwG hat die Revision zurückgewiesen. Das OVG habe den Beschränkungsbescheid zutreffend für rechtmäßig erachtet. Nach § 8 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 und Abs. 2 Satz 1 PassG könne der räumliche Geltungsbereich eines Passes beschränkt werden, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Passinhaber sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland (also andere als die innere oder äußere Sicherheit im Sinn von § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 und 2 PassG) gefährdet. Diese Vorschrift schränke die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Ausreisefreiheit in verfassungsgemäßer Weise ein. Ein sonstiger erheblicher Belang sei die Sicherung der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit der für die Gestaltung der Außenpolitik verantwortlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland. Dieser Belang sei im Fall der Klägerin in dem für die gerichtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Beschränkungsbescheids gefährdet gewesen.

Begründetes Entführungsrisiko mit Erpressungsgefahr

Das OVG habe die der Entscheidung der Beklagten zu Grunde liegenden Tatsachen auf der Grundlage der durch das VG durchgeführten Beweisaufnahme für das BVerwG bindend festgestellt, so das BVerwG weiter. Danach habe ein tragfähiger Hinweis auf die Absicht einer Gruppe von afghanischen Aufständischen vorgelegen, die Klägerin zu entführen. Des Weiteren sei ein wirksamer Schutz der Klägerin vor einer solchen Entführung nicht gegeben gewesen und es wäre eine Erpressung der Bundesrepublik Deutschland zu erwarten gewesen. Die darauf gestützte Annahme einer Gefährdung sei aus revisionsgerichtlicher Sicht nicht zu beanstanden.

Passgesetz enthält spezialgesetzliche Störerregelung

Laut BVerwG ist der angegriffene Bescheid nicht deshalb rechtswidrig, weil nicht schon die Klägerin mit ihrer Ausreise, sondern erst Dritte durch die Entführung die genannte Gefahr unmittelbar verursacht hätten. Denn die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 PassG enthalte eine spezialgesetzliche Regelung der Verantwortlichkeit, die den allgemeinen Grundsätzen des Polizei- und Ordnungsrechts über die Störerhaftung vorgehe. Dies ergebe sich vor allem aus dem Sinn und Zweck der Norm. Diese verlagere aus Gründen der effektiven Gefahrenabwehr den Rechtsgüterschutz vor, weil deutsche Stellen in dem Zeitpunkt, in dem sich die Gefährdung im Ausland realisiert, wegen des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips und faktisch an einem Einschreiten mit vergleichbarer Wirksamkeit gehindert sind. Die auf ein Jahr befristete Passbeschränkung erweise sich auch als ermessensfehlerfrei und verhältnismäßig.

BVerwG, Urteil vom 29.05.2019 - 6 C 8.18

Redaktion beck-aktuell, 31. Mai 2019.