BVerwG: Besondere Privilegierung nachgezogener Kinder bei Aufenthaltsverfestigung endet mit Volljährigkeit

Ausländer, die bereits bei Erreichen des 16. Lebensjahres seit fünf Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen waren, haben einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis unter den erleichterten Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 S. 1 AufenthG nur, solange sie noch minderjährig sind. Mit Eintritt der Volljährigkeit richtet sich die Erteilung grundsätzlich auch in diesen Fällen nach den strengeren Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 S. 2 AufenthG. Das hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden (Urteil vom 15.08.2019, Az.: 1 C 23.18).

Streit um Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis

Der 1995 in Deutschland geborene Kläger, ein serbischer Staatsangehöriger, begehrt die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. 1999 erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug, die nach Volljährigkeit als eigenständiges Aufenthaltsrecht letztmalig bis August 2015 verlängert wurde. Mit Bescheid vom 31.05.2016 lehnte der Beklagte eine weitere Verlängerung ab, weil sein Lebensunterhalt nicht gesichert sei. Das Oberverwaltungsgericht hat den Beklagten verpflichtet, über den Verlängerungsantrag neu zu entscheiden (BeckRS 2018, 4939). Auch bei einem volljährigen Ausländer, der wie der Kläger bei Vollendung des 16. Lebensjahres bereits seit fünf Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis zum Kindernachzug gewesen sei, richte sich die Verlängerung so lange nach § 35 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit Abs. 3 S. 2 AufenthG, bis eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen sei, die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bestandskräftig abgelehnt werde oder der Aufenthaltstitel sonst erloschen sei. Weil mangels Unterhaltssicherung kein Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis bestehe, müsse der Beklagte eine Ermessensentscheidung gemäß § 35 Abs. 3 S. 2 AufenthG über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis treffen, auf die die Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine Anwendung finde.

BVerwG wendet strengere Voraussetzungen an

Auf die Revision des Beklagten hat das BVerwG das angefochtene Urteil aufgehoben. Nachgezogene oder im Bundesgebiet geborene Kinder könnten eine Niederlassungserlaubnis ab Eintritt der Volljährigkeit nur noch unter den - gegenüber Abs. 1 S. 1 strengeren - Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erhalten. Nach Wortlaut und Systematik richte sich die Abgrenzung der Anwendungsbereiche der beiden Sätze des § 35 Abs. 1 AufenthG nach dem Alter des Kindes. Hinreichende Gründe, den Anwendungsbereich des § 35 Abs. 1 S. 1 AufenthG entgegen dem Wortlaut ("Einem minderjährigen Ausländer . ist . zu erteilen") dauerhaft auf inzwischen volljährig gewordene Ausländer zu erstrecken, soweit sie bereits bei Vollendung des 16. Lebensjahres seit fünf Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis waren, seien nicht ersichtlich. Sie folgten auch nicht aus der Entstehungsgeschichte, insbesondere der abweichend formulierten Vorgängernorm des § 26 AuslG (Ausländergesetz), und dem Sinn und Zweck der Vorschrift.

BVerwG verweist auf allgemeine Ermessensregelung

Liegen aber wegen Eintritts der Volljährigkeit die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 S. 1 AufenthG schon nicht vor, bestehe auch kein Anspruch auf eine Ermessensentscheidung nach § 35 Abs. 3 S. 2 AufenthG (unter anderem) über eine Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis in Fällen, in denen der Lebensunterhalt nicht gesichert ist, so das BVerwG weiter. Der volljährig gewordene Ausländer sei dann für die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis auf die allgemeine Ermessensregelung des § 34 Abs. 3 AufenthG verwiesen; hier gölten alle Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG, die unter anderem regelmäßig die Sicherung des Lebensunterhalts erfordern. Hiervon sei nur in atypischen Fällen abzusehen. Wegen der sich bei Anwendung des § 34 Abs. 3 AufenthG stellenden Fragen (unter anderem Vorliegen der Voraussetzungen eines atypischen Falles mit Blick auf Art. 8 EMRK / Art. 7 EU-Grundrechte-Charta) hat der Senat das Verfahren zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das OVG zurückverwiesen.

BVerwG, Urteil vom 15.08.2019 - 1 C 23.18

Redaktion beck-aktuell, 16. August 2019.