Streikbrecher-Verbot für Leiharbeitnehmer mit Koalitionsfreiheit vereinbar
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© Uwe Zucchi / dpa

Es bleibt dabei: Bestreikte Unternehmen dürfen Leiharbeitnehmer nicht als Streikbrecher einsetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat am 19.06.2020 die Vereinbarkeit des entsprechenden Verbots in § 11 Abs. 5 AÜG als vereinbar mit der Koalitionsfreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG bestätigt. Der Gesetzgeber habe seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten.

Beschwerdeführerin rügte Streikbrecher-Verbot im AÜG

Die Beschwerdeführerin, eine Arbeitgeberin in der Unterhaltungsindustrie, rügte mit ihrer Verfassungsbeschwerde das 2017 eingeführte Streikbrecherverbot in § 11 Abs. 5 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG). Danach darf der Entleiher Leiharbeitskräfte nicht auf bestreikten Arbeitsplätzen tätig werden lassen, wenn sein Betrieb unmittelbar durch einen Arbeitskampf betroffen ist. Die Beschwerdeführerin monierte, das Verbot schränke sie insbesondere in der Wahl der Mittel eines Arbeitskampfes ein und verletze dadurch ihre Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG.

BVerfG: Streikbrecher-Verbot mit Koalitionsfreiheit vereinbar

Die Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg. Das BVerfG erachtet das Streikbrecher-Verbot in § 11 Abs. 5 AÜG unabhängig von der Frage, ob der Einsatz von Leiharbeitskräften als Streikbrecher überhaupt als Mittel im Arbeitskampf geschützt wird, jedenfalls für vereinbar mit Art. 9 Abs. 3 GG. Bei der Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit durch Ausgleich der widerstreitenden Grundrechtspositionen habe der Gesetzgeber einen weiten Handlungsspielraum. Seine Grenzen finde dieser am objektiven Gehalt des Art. 9 Abs. 3 GG. Die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie dürfe mithin nicht gefährdet werden. Funktionsfähig sei die Tarifautonomie aber nur, solange zwischen den Tarifvertragsparteien Parität bestehe.

Streikbrecher-Verbot wahrt Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers

Das BVerfG sieht § 11 Abs. 5 AÜG vom Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt. Die Regelung sei insbesondere auch im engeren Sinn verhältnismäßig. Das zeige die gebotene Abwägung aller Belange unter Berücksichtigung der Belastungen. Diese seien zwar gewichtig. Denn die Arbeitgeber würden in ihrer Entscheidung beschränkt, Leiharbeitskräfte einzusetzen, um sich gegen einen Streik zu wehren. Doch verbiete die Vorschrift nicht den generellen Einsatz von Leiharbeitskräften im Betrieb, sondern nur den unmittelbaren oder mittelbaren Einsatz als Streikbrecher. Der Gesetzgeber verfolge damit Ziele von so erheblichem Gewicht, dass sie grundsätzlich geeignet seien, auch gewichtige Grundrechtsbeschränkungen zu rechtfertigen. Das gelte für das Ziel, auch Leiharbeitskräften ein sozial angemessenes Arbeitsverhältnis zu sichern.

Verbot auf Wiederherstellung der Parität gerichtet

Ebenso gelte dies für das Ziel, die Funktionsfähigkeit der grundrechtlich gewährleisteten Tarifautonomie zu sichern, weil die Arbeitnehmerüberlassung in gesteigertem Maße im Arbeitskampf eingesetzt worden sei und dies die Kräfte erheblich zulasten der Gewerkschaften verschiebe. Damit ziele die Regelung auf die grundlegende Parität der Tarifvertragsparteien ab. Die Gewerkschaften verfügten entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin auch nicht bereits über stärkere Kampfmittel. Gerade sie seien auf ein ausgewogenes Kräfteverhältnis im Arbeitskampf angewiesen, um ihre Positionen auf Augenhöhe zu verhandeln. Damit verletze der Gesetzgeber auch nicht die staatliche Pflicht zur Neutralität. Es sei ihm gerade nicht verwehrt, die Rahmenbedingungen im Tarifvertragsrecht zu ändern, um Parität wiederherzustellen.

BVerfG, Beschluss vom 19.06.2020 - 1 BvR 842/17

Redaktion beck-aktuell, 6. August 2020.